I. Rechtsnatur.
Rn 2
Nach nunmehr hM hat der Prozessvergleich eine Doppelnatur; er ist sowohl materiell-rechtliches Rechtsgeschäft, weil er sachlich rechtlich die Ansprüche und Verbindlichkeiten der Parteien regelt, als auch Prozessvertrag, weil er den Rechtsstreit beendet (BGH NJW-RR 18, 1023 [BGH 19.04.2018 - IX ZR 222/17]; NJW 15, 2965 [BGH 14.07.2015 - VI ZR 326/14]; aA MüKoZPO/Wolfsteiner Rz 13, welcher eine ›moderate Trennungstheorie‹ befürwortet, wonach im Prozessvergleich ein prozessualer und ein materiell-rechtlicher Vertrag in einem Akt zusammengefasst sind). Da der Prozessvergleich sowohl Rechtsgeschäft des bürgerlichen Rechts als auch den Rechtsstreit beendende Prozesshandlung ist, muss er über eine Prozessbeendigungsvereinbarung hinausgehende Vereinbarungen enthalten; ein reiner Prozessbeendigungsvertrag ist zulässig, jedoch nicht geeignet, einen Titel iSd § 794 I 1 darzustellen; ebensowenig ist ein ausschl materiell-rechtlicher Vergleichsvertrag nach § 779 I BGB als Prozessvergleich iSd § 794 I 1 anzusehen. Prozesshandlung und Rechtsgeschäft bilden eine Einheit, die eine gegenseitige Abhängigkeit der prozessualen Wirkungen und der materiell-rechtlichen Regelungen bewirkt. Um als Vollstreckungstitel geeignet zu sein, hat der Prozessvergleich sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht wirksam zu sein. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen sind in materiell-rechtlicher Hinsicht nach § 779 BGB zu beurteilen, als Prozesshandlung nach den zivilprozessualen Vorschriften (BGHZ 84, 333, 335; 142, 84, 88).
II. Voraussetzungen.
1. Kontradiktorisches Verfahren vor einem deutschen Gericht.
Rn 3
Prozessvergleiche gem § 794 I 1 setzen voraus, dass sie vor einem deutschen Gericht abgeschlossen werden; dies sind zunächst Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Der Vergleich kann auch vor einem Strafgericht, bspw im Privatklageverfahren oder dem Adhäsionsverfahren, geschlossen werden (Stuttg NJW 64, 110, 111 [OLG Stuttgart 30.07.1963 - 8 W 111/63]), auch im Verfahren der Schiedsgerichtsbarkeit gem § 1053 III, vor den LwG (BGHZ 14, 381, 389, 390; 142, 84, 87; BGH NJW 99, 2806, 2807 [BGH 18.06.1999 - V ZR 40/98]), vor dem Bundespatentgericht (BPatG GRUR 96, 402 [BPatG 29.02.1996 - 2 Ni 8/93]) und in Verfahren nach dem FamFG gem §§ 86 I Nr 2, 156 I und § 86 I Nr 3 FamFG. Derartige Vergleiche können auch in Baulandsachen zustande kommen; hier kommt sowohl eine Einigung in Form des § 110 II BauGB als auch ein Vergleich gem § 794 I 1 in Frage (BGH NJW 03, 757, 758 [BGH 31.10.2002 - III ZR 13/02]). Auch im Arbeitsgerichtsverfahren können Vergleiche nach § 794 I Nr 5 geschlossen werden, wie die §§ 62 II, 85 I 1, 3 ArbGG ergeben. Verwaltungsgerichtliche Vergleiche nach § 106 VwGO sind Vollstreckungstitel gem § 168 I Nr 3 VwGO; für die Vollstreckung gelten die zivilprozessualen Vorschriften entspr, jedoch nur, solange die VwGO keine Sonderregelungen trifft, § 167 I VwGO. Insoweit können Prozessvergleiche nach § 794 I 1 abgeschlossen werden; soweit die Vollstreckung zug der öffentlichen Hand betroffen ist richtet sich die Vollstreckung nach dem VwVG, § 169 I 1 VwGO. Spezialregelungen gelten auch in der Sozialgerichtsbarkeit und in der Finanzgerichtsbarkeit. § 199 I Nr 3 SGG sieht vollstreckbare gerichtliche Vergleiche vor; für diese gilt wie im Verwaltungsverfahren tw das VwVG, § 66 I SGB X, zT finden die zivilprozessualen Vorschriften Anwendung, § 66 IV SGB X. Die Vollstreckung nach der AO erfolgt aufgrund besonderer Vorschriften, nämlich aufgrund vollstreckbarer Verwaltungsakte nach § 251 AO. Vor ausl Gerichten abgeschlossene Vergleiche werden im Inland als außergerichtliche behandelt, soweit nicht Spezialregeln eingreifen (St/J/Münzberg Rz 27).
Rn 4
Unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts ist unschädlich (BGHZ 35, 309, 314; NJW 86, 1348, 1349). Zur Beurkundung eines Vergleichs ist nicht nur das Kollegium des Prozessgerichts befugt, sondern auch der Einzelrichter, auch der beauftragte oder ersuchte Richter, ggf auch der Rechtspfleger (BGHZ 35, 309, 314).
Rn 5
Der Vergleich setzt ein kontradiktorisches Verfahren voraus; Anhängigkeit und damit jede Handlung, die ein Verfahren in Gang setzt, genügen; im ordentlichen Verfahren ist dies die Einreichung der Klage (MüKoZPO/Wolfsteiner Rz 25; Musielak/Voit/Lackmann Rz 4). Unerheblich ist es, ob die das Verfahren in Gang setzende Prozesshandlung statthaft und zulässig ist; unerheblich ist es auch, ob das angegangene Gericht sachlich und örtlich zuständig ist und ob der Rechtsweg zulässig ist (BGH MDR 68, 43 [BGH 05.07.1967 - VIII ZR 66/65]). Prozessvergleiche sind bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft möglich (BGH NJW 95, 1095, 1096 [BGH 01.02.1995 - VIII ZB 53/94]). Nicht maßgeblich sind die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens, des Gesuchs auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Verfassungsbeschwerde (zu letzterer BVerfG NJW 96, 1736 [BVerfG 18.01.1996 - 1 BvR 2116/94]). Ohne Auswirkung auf den Eintritt der formellen Rechtskraft ist auch die Gehörsrüge nach § 321a; diese bewirkt eine Hemmung der Rechtskraft nicht. Man wird jedoch,...