Rn 2
Mehrarbeit iSd vollstreckungsrechtlichen Bestimmung ist die über die gewöhnliche betriebliche oder tarifliche bzw im Arbeitsvertrag festgeschriebene Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit (BGH NZI 14, 773 [BGH 26.06.2014 - IX ZB 87/13] Rz 8; St/J/Würdinger § 850a Rz 6). Von dieser Terminologie weicht die arbeitsrechtliche Begrifflichkeit ab. Arbeitsrechtlich bezeichnen Überarbeit bzw Überstunden die Arbeitszeit, welche die für das Arbeitsverhältnis normale Arbeitszeit überschreitet. Mehrarbeit ist nach arbeitsrechtlichem Verständnis die Arbeitszeit, die über die regelmäßige gesetzliche Arbeitszeit von acht Stunden werktäglich gem § 3 ArbZG hinausgeht (BAG NZA 04, 1219, 1220 [BAG 03.12.2002 - 9 AZR 462/01]; Schaub/Linck § 45 Rz 55).
Rn 3
Geschützt wird überobligationsmäßige Arbeit, denn für den Schuldner soll ein Anreiz bestehen, Mehrarbeit zu leisten und für die Gläubiger Mehreinnahmen zu erwirtschaften (St/J/Würdinger § 850 Rz 1; Ahrens ZInsO 2010, 2357). Mehrarbeit ist jede über den üblichen Umfang hinaus geleistete Arbeit, sei es als Überstunden, sei es als nicht regelmäßig geleistete Sonntagsarbeit oder als erlaubte Arbeit bei einem anderen ArbG (BGH NZI 14, 773 Rz 8; LG Wuppertal JurBüro 22, 164; AG Ludwigshafen ZVI 19, 208). Bei einem Selbständigen lässt sich ein üblicher Umfang seiner Arbeit nicht bestimmen, weswegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von Nr 1 regelmäßig nicht zutreffen. Überobligationsmäßige Arbeit liegt aber vor, wenn ein Schuldner eine zur Existenzsicherung genügende Altersrente bezieht und zusätzlich als abhängig Beschäftigter oder als Selbständiger erwerbstätig ist (BGH NZI 14, 773 Rz 8, 12; aA VG Wiesbaden ZInsO 14, 796, 797, zu Versorgungsempfänger, der abhängig arbeitet) bzw bei einer Erwerbsunfähigkeitsrente und Einkünften aus geringfügiger Beschäftigung (AG Heidelberg VuR 15, 69 mAnm Kohte). Gesetzgeberisches Leitbild ist das Normalarbeitsverhältnis im üblichen Umfang, das nicht ohne Weiteres auf die Vielfalt möglicher Arbeitsbeziehungen übertragen werden kann. Deswegen und weil durch die Regelung auch die Arbeitsleistung des Schuldners mobilisiert werden soll, ist vom Maßstab der betrieblichen oder tariflichen Normalarbeitszeit und nicht der individuellen Arbeitszeit auszugehen. Beträgt die tarifliche Wochenarbeitszeit 35 Stunden und ist der Arbeitnehmer zusätzlich fünf Stunden bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt, handelt es sich deswegen um Mehrarbeit (aA LG Wuppertal JurBüro 22, 164). Da der Begriff zeit- und nicht leistungsbezogen ist, fallen leistungsabhängige Vergütungsbestandteile nicht unter den besonderen Schutz aus Nr 1 (MüKoZPO/Smid § 850a Rz 4). Mehrarbeit iSv Nr 1 bildet nicht die auf Sonn- oder Feiertage bzw die Nachtzeit entfallende regelmäßige betriebliche Arbeitszeit (Zö/Herget § 850a Rz 2). Die auf betriebsübliche Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit entfallende Vergütung ist nach § 850c pfändbar (zu den Zuschlägen Rn 14 f). Zur Mehrarbeitsvergütung gehören dagegen Entgelte für Bereitschaftsdienste (Wieczorek/Schütze/Lüke § 850a Rz 9), die über die Normalarbeitszeit hinausgehen. Übt der Schuldner eine Teilzeitbeschäftigung aus, gilt für die Vergütung der Überarbeit bis zur Grenze der regelmäßigen Arbeitszeit nicht das Pfändungsverbot aus § 850a. Arbeitet der Schuldner über die regelmäßige Arbeitszeit in einem Hauptarbeitsverhältnis hinaus, besteht das Pfändungsverbot auch dann, wenn die Bezüge aus seiner Nebenbeschäftigung auf einer selbständigen vertraglichen Grundlage beruhen (Hamm AP Nr 3 zu ZPO § 850a), aber zusammengerechnet werden.
Rn 4
Übt der Schuldner mehrere Teilzeitbeschäftigungen aus, ist nicht ohne Weiteres zu bestimmen, welches Arbeitsverhältnis für die Bestimmung der normalen Arbeitszeit und welches für die Fixierung der unpfändbaren Bezüge maßgebend sein soll. Deswegen soll § 850a unanwendbar sein (Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Kessal-Wulf/Lorenz/Els § 850a Rz 2), doch wird eine solche Auslegung nicht dem Ziel gerecht, dem Schuldner einen angemessenen Anteil aus seinen überobligationsmäßigen Anstrengungen zugutekommen zu lassen. Die regelmäßige Arbeitszeit ist deswegen nach der betriebsüblichen Arbeitszeit im Arbeitsverhältnis mit den meisten Stunden, die Mehrarbeitsvergütung nach der Bezahlung im Arbeitsverhältnis mit der geringsten Stundenzahl zu bestimmen. Sind die Daten nicht feststellbar, ist jeweils von Durchschnittsbeträgen auszugehen.
Rn 5
Unpfändbar ist die Hälfte der insgesamt auf die Mehrarbeit entfallenden Vergütung, also nicht nur die Hälfte der Mehrarbeitszuschläge. § 850a Nr 1 ist nur anwendbar, wenn die geleistete Mehrarbeit durch einen ausgewiesenen oder ausweisbaren Bezug des Schuldners neben dem Lohn entgolten wird (BGH NZI 14, 773 [BGH 26.06.2014 - IX ZB 87/13] Rz 8). Erfasst werden die Grundvergütung mit sämtlichen Leistungslohnbestandteilen sowie sämtliche arbeitszeitbezogene Zuschläge, sei es ein Mehrarbeitszuschlag, sei es wegen der Lage der Mehrarbeit ein Nacht- oder Feiertagszuschlag. Führt die Mehrarbeit zu e...