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Erfasst werden von dem Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit sowohl die Geisteskrankheit als auch die Geistesschwäche (BGH WM 65, 895). Die genaue medizinische Einordnung der Störung ist dabei unerheblich. Es muss sich jedoch um einen Dauerzustand handeln. Dies liegt nicht nur bei unheilbaren Erkrankungen vor, sondern auch bei heilbaren Störungen, deren Heilung aber einen längeren Zeitraum beansprucht. Anwendbar ist § 104 Nr 2 zB bei wochenlanger Bewusstlosigkeit nach einem Unfall (München MDR 89, 361 [OLG München 08.11.1988 - 18 U 3469/88]). Kurzfristige oder ihrer Natur nach nur vorübergehende Störungen, wie Ohnmacht, Volltrunkenheit, hohes Fieber, fallen dagegen unter § 105 II. Auch in Abständen immer wiederkehrende Störungen, wie zB Anfälle, Rauschzustände sind nur vorübergehend, solange sie immer nur wenige Tage andauern. Unabhängig von ihrer Dauer muss die krankhafte Störung aber in jedem Fall die freie Willensbestimmung ausschließen. Der Begriff der freien Willensbestimmung in § 104 Nr. 2 ist im Kern mit dem des freien Willens in § 1896 Abs 1a identisch (BGH NJW-RR 16, 579 [BGH 16.12.2015 - XII ZB 381/15]; Hillenkamp JZ 15, 391; Cording/Roth, NJW 15, 26 zur Tragfähigkeit aus neurobiologischer Sicht). Entscheidende Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln (BGH FamRZ 14, 830). Daran fehlt es, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen unbeeinflusst von der Geistesstörung zu treffen und sie von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (BGH NJW 70, 1680; 96, 919; Ddorf FamRZ 98, 1064; Köln BeckRS 18, 38694). Zu prüfen ist, ob die Entscheidung auf einer sachlichen Abwägung des Für und Wider beruht oder der Betroffene durch für ihn unkontrollierbare Vorstellungen bestimmt wird (BGH WM 84, 1064). Dies kann auch der Fall sein, wenn der Betroffene übermäßig durch Einflüsse Dritter beherrscht wird (BGH NJW 96, 918 [BGH 05.12.1995 - XI ZR 70/95]). Bloße Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit genügen hingegen für einen Ausschluss freier Willensbestimmung noch nicht, ebenso wenig wie die Unfähigkeit, die Tragweite der abgegebenen Willenserklärung intellektuell zu erfassen (BGH NJW 61, 261). Die Abgrenzung von einem nur schwachen Verstand und einer Geistesschwäche (Debilität) kann im Einzelfall schwierig sein. Ein geringer IQ (unter 60) mag dabei ein Hinweis für eine unter § 104 fallende Verstandesschwäche sein (Ddorf VersR 96, 1493), reicht für die Annahme eines die Willensbildung ausschließenden krankhaften Zustandes allein noch nicht aus (für Geschäftsunfähigkeit bei einem Verbal IQ von 44 Köln MDR 11, 649 [OLG Köln 24.01.2011 - 11 U 199/10]; vgl auch Köln NotBZ 11, 297). Auch bei chronischem Alkohol- und Drogenmissbrauch liegt nicht generell eine die freie Willensbildung ausschließende dauerhafte Störung der Geistestätigkeit vor. Etwas anderes gilt dann, wenn die Sucht zu derartigen hirnorganischen Veränderungen geführt hat, dass diese die freie Willensbestimmung ausschließen (BayObLG NJW 03, 216 [BayObLG 05.07.2002 - 1 Z BR 45/01]; Naumbg NJW 05, 2017). Da die Geschäftsunfähigkeit nur besteht, wenn sich der Betroffene ›in einem Zustand‹ nach Nr 2 befindet, besteht in sog lichten Augenblicken Geschäftsfähigkeit (RGZ 72, 61, 64; zur Problematik dieses Begriffs, insb bei Demenzerkrankten Schmöckel NJW 16, 433, 43).

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