Gesetzestext

 

(1) 1Ermächtigt der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Familiengerichts den Minderjährigen zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, so ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. 2Ausgenommen sind Rechtsgeschäfte, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Familiengerichts bedarf.

(2) Die Ermächtigung kann von dem Vertreter nur mit Genehmigung des Familiengerichts zurückgenommen werden.

A. Normzweck und Bedeutung.

 

Rn 1

Die Regelung erweitert die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen, um diesem die Möglichkeit zur selbstständigen Ausübung eines Erwerbsgeschäftes zu geben. Damit er dieses Geschäft führen kann, muss der Minderjährige die Befugnis haben, auch rechtlich nachteilige Rechtsgeschäfte abzuschließen. Hierfür gewährt ihm § 112 eine partielle, sachlich eingegrenzte Geschäftsfähigkeit (MüKo/Spickhoff Rz 1) und lässt die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters ruhen (Erman/Müller Rz 1; Staud/Klumpp Rz 22). Der Minderjährige ist in diesem sachlich abgegrenzten Bereich geschäfts- und prozessfähig. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist seit der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters nur noch gering, Soziale Medien, mit Berufsfeldern wie dem Influencer-Marketing, eröffnen aber ggf neue Anwendungsfelder (hierzu Willems MMR 18, 707, 710; krit hierzu Herberger CR 22, 32, 34 mit Blick auf das Risikopotenzial).

B. Regelungsgehalt.

I. Ermächtigung.

 

Rn 2

Voraussetzung der partiellen Geschäftsfähigkeit ist die formfreie Ermächtigung der gesetzlichen Vertreter zur Aufnahme des selbstständigen Betriebs eines Erwerbsgeschäftes. Die Ermächtigung ist eine einseitige, an den Minderjährigen zu richtende Willenserklärung, die zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung durch das Familiengericht bedarf (Soergel/Hefermehl Rz 3). Grund hierfür ist das erhöhte Risikopotenzial ggü Geschäften, die der Minderjährige nach §§ 107, 108, 111 mit Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter vorgenommen hat. Nach § 1629a II kann sich der Minderjährige bei selbstständiger Erwerbstätigkeit gem § 112 nicht auf eine Haftungsbeschränkung auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen berufen. Das Gericht prüft, ob der Minderjährige die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse zur Führung eines selbstständigen Erwerbsgeschäftes besitzt und entscheidet nach pflichtgemäßen Ermessen (Köln NJW-RR 94, 1450). Bloße technische Fähigkeiten reichen nicht aus. Der Minderjährige muss sich im Recht- und Erwerbsleben im Wesentlichen wie eine Volljähriger verhalten können (Karlsr NJW 22, 3161 Rz 9 f). Aus einem bereits beanstandungsfrei geführten Betrieb eines Minderjährigen kann auf dessen Reife für ein zweites Erwerbsgeschäft geschlossen werden (Bambg FamRZ 22, 915 Rz 24). Die Ermächtigung kann jederzeit zurückgenommen werden. Hierzu bedarf es wiederum der Genehmigung des Familiengerichts (II).

II. Erwerbsgeschäft.

 

Rn 3

Erwerbsgeschäft ist jede erlaubte, selbstständige, berufsmäßig ausgeübte und auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit (Scheerer BB 71, 981). § 112 erfasst auch die selbstständige Ausübung eines künstlerischen Berufes, die Tätigkeit als selbstständiger Handelsvertreter iSd § 84 I HGB (BAG NJW 64, 1641 [BAG 20.04.1964 - 5 AZR 278/63]; ArbG Berlin VersR 69, 97) sowie eine Gesellschafterstellung in einer Personenhandelsgesellschaft (MüKo/Spickhoff Rz 6; Flume NZG 14, 17, 21). Ein Minderjähriger kann jedoch selbst bei Vorliegen einer Ermächtigung gem § 6 I 1 GmbHG nicht Geschäftsführer einer GmbH werden (Hamm NJW-RR 92, 1253). Für den Betrieb in einer anderen Rechtsform als es die Ermächtigung nach § 112 vorsieht (UG statt Einzelunternehmen) bedarf es einer erneuten Ermächtigung und Genehmigung (DNotI-Report 22, 68 f).

III. Umfang.

 

Rn 4

Die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen beschränkt sich inhaltlich auf Geschäfte, die der Betrieb des Erwerbsgeschäftes mit sich bringt. Bei der Frage der Abgrenzung ist der Zuschnitt des Betriebes im konkreten Einzelfall maßgeblich (Weimar DB 64, 1509 f; Soergel/Hefermehl Rz 4). Keiner Zustimmung bedürfen alle Rechtshandlungen, die dem geschäftlichen Bereich zuzuordnen sind (BGHZ 83, 76, 80 zu § 1456). Ausgenommen sind Rechtsgeschäfte, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Familiengerichts bedarf (I 2).

IV. Verhältnis zu § 107.

 

Rn 4a

Nicht vollständig geklärt ist das Verhältnis von § 112 zu § 107. ZT wird von einem Ausschlussverhältnis ausgegangen. § 112 soll danach eine Sperrwirkung entfalten, wenn sich die rechtgeschäftlichen Aktivitäten des Minderjährigen zu einer Erwerbstätigkeit verdichtet haben (NK/Kunz/Baldus Rz 4). Dem liegt wohl die Befürchtung zugrunde, dass die bei § 112 erforderliche familiengerichtliche Genehmigung mittels einer Generaleinwilligung des gesetzlichen Vertreters nach § 107 umgangen werden könnte. Angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen, die bei § 112 sehr viel weitergehend sind, kommt ein beschränkter Generalkonsens der gesetzlichen Vertreter auch dann noch in Betracht, wenn das Familiengericht die Ausübung eines selbstständigen Erwerbsgeschäfts nicht genehmigt. § 112 ist daher keine den § 1...

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