Rn 2

Anspruchsberechtigt ist, wer in einem der maßgeblichen Einsatzzeitpunkte nicht oder nur teilw infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte durch eine angemessene eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensbedarf decken kann (eingehend hierzu Born FamRZ 22, 759 und Rn 7). Der Gesetzgeber hat die Grenzen der nachehelichen Solidarität bewusst eng gezogen und den Tatbestand der Einsatzzeitpunkte scharf eingegrenzt. Jede andere (großzügigere) Betrachtung, insb des nahen zeitlichen Zusammenhangs, liefe der Intention zuwider, wonach schicksalsbedingte Ereignisse, die sich nach der Scheidung im Leben eines geschiedenen Ehegatten einstellen, grds nicht zu Lasten des anderen Ehegatten gehen dürfen. Ist im Zeitpunkt der Scheidung wegen Krankheit eine Erwerbstätigkeit nicht zu erwarten, besteht ein originärer Anspruch auf Krankheitsunterhalt. War im Zeitpunkt der Scheidung nur eine teilschichtige Erwerbstätigkeit möglich und verschlimmert sich in der Folgezeit die Krankheit so sehr, dass im nahen zeitlichen Zusammenhang völlige Erwerbsunfähigkeit eintritt, ist der spätere völlige Wegfall der Erwerbstätigkeit noch dem Einsatzzeitpunkt der Scheidung zuzurechnen.

 

Rn 3

Eine Ehebedingtheit der Bedürftigkeit ist nicht Anspruchsvoraussetzung (BGH FamRZ 04, 779; Kobl FamRZ 20, 1262). Die von § 1572 erfasste Bedürfnislage kann auch auf einer bereits vor der Ehe ausgebrochenen und im Zeitpunkt der Scheidung noch bestehenden Erkrankung beruhen (BGH FamRZ 96, 1273). Der Anspruch besteht auch, wenn der Verpflichtete im Zeitpunkt der Eheschließung die bereits bestehende Erkrankung nicht kannte. § 1579 Nr 8 findet regelmäßig keine Anwendung (BGH FamRZ 95, 1405; vgl iÜ Rn 10). Verschulden (denkbar etwa bei Alkohol- u Drogensucht) ist nicht erforderlich, kann jedoch über § 1579 Nr 4 berücksichtigt werden (BGH NJW 88, 1147 [BGH 13.01.1988 - IVb ZR 15/87]).

I. Krankheit, Gebrechen oder geistige Schwäche.

 

Rn 4

Krankheit wird als objektiv fassbarer regelwidriger Zustand umschrieben und entspricht dem Sozialversicherungsrecht (vgl § 240 II SGB VI) und Beamtenrecht (§ 44 I 1 BBG), sodass die dort entwickelten Grundsätze auch iRd § 1572 heranzuziehen sind.

Es ist auf die entspr sozialversicherungsrechtlichen Begriffsbestimmungen (SGB VI § 240 II, § 42 I 1 BBG) zurückzugreifen. Krankheit ist ein objektiv fassbarer regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (BGH FamRZ 10, 1414). Krankheit idS sind auch eine Alkohol- und Drogensucht, Medikamentenabhängigkeit (BGH FamRZ 88, 375; Foerste FamRZ 99, 1245) sowie eine Rentenneurose bei Steuerungsunfähigkeit und Übergewicht (Köln FamRZ 92, 65) oder Depressionen (BGH FamRZ 10, 1057). Gebrechen sind alle von der Regel abweichenden körperlichen oder geistigen Zustände, mit denen für nicht absehbare Zeit zu rechnen ist (BSG NJW 61, 987 [BSG 02.03.1961 - 4 RJ 198/59]), etwa Blindheit, Taubheit, Lähmung etc. Zur körperlichen oder geistigen Schwäche zählen ua vorzeitiger Kräfteverbrauch, Altersabbau, mentale Retardierung, nicht kompensierbare Persönlichkeitsstörungen, Konzentrationsschwächen etc (Bambg FamRZ 00, 231). Unterhalts- oder Rentenneurosen sind als neurotische Störung aufgrund der Angst, den Unterhaltsanspruch zu verlieren, als Krankheit anzusehen, wenn die neurotische Störung Krankheitswert hat und nicht ohne Behandlung durch die Aberkennung des Unterhaltsanspruchs überwunden werden kann. Die Feststellung, ob die Willens- oder Steuerungsfähigkeit krankheitsbedingt eingeschränkt ist oder ob es sich nur um eine Simulation handelt, ist ohne ärztliche Begutachtung meist nicht möglich (BGH FamRZ 84, 660). Unterhaltsrechtlich relevante gesundheitliche Beeinträchtigungen liegen nicht schon bei gewissen verbreiteten körperlichen Abnutzungserscheinungen oder Unpässlichkeiten vor.

 

Rn 4a

Für den Betroffenen besteht die Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer zumutbaren Behandlung. Liegt ein Verstoß gegen die Obliegenheit vor, die Arbeitskraft durch geeignete Maßnahmen wieder herzustellen, können fiktive Einkünfte zugerechnet werden (Hamm FamRZ 12, 1732; KG FamRZ 01, 1617). Hinsichtlich der Verpflichtung zur Durchführung von Operationen gelten die im Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze (Hamm FamRZ 96, 863). Eine Obliegenheit besteht danach, wenn die Operation gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist und eine hinreichende Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung besteht (BGH NJW 94, 1593). Für die Frage des Verschuldens kommt es darauf an, ob nicht die Fähigkeit des Unterhaltsgläubigers, entspr seiner Einsicht in die Notwendigkeit einer Therapie zu handeln, krankheitsbedingt wesentlich eingeschränkt war oder ist, insb, wenn er wegen Willens- oder Charakterschwäche nicht im Stande ist, seiner Erkrankung entgegenzusteuern und entsprechende Heilmaßnahmen zu ergreifen und durchzustehen (BGH FamRZ 88, 375; Hamm FamRZ 99, 237; Köln FamRZ 99, 920, zu weiteren Einzelheiten vgl Rn 10).

II. Krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit.

 

Rn 5

Die gesundheitlichen Beeinträ...

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