Rn 8

Auch der Irrtum über die Eigenschaft einer Erbschaft oder eines Erbteils kann die Anfechtung der Annahme/Ausschlagung rechtfertigen, wobei nur objektiv erhebliche und ursächliche Fehlvorstellungen über verkehrswesentliche Eigenschaften (§ 119 II) des Nachlasses, der hier als ›Sache‹ iSd § 119 II angesehen wird, die Anfechtung begründen. Daran fehlt es, wenn die irrtümlich angenommene oder unbekannte Eigenschaft im Verhältnis zum Gesamtnachlass nicht oder nur unerheblich ins Gewicht fällt (Lange/Kuchinke § 8 VII 2e) oder aber auf rein spekulativer Basis erfolgten Annahme (Brandbg ZErb 19, 262; Ddorf ZEV 21, 505).

 

Rn 9

Verkehrswesentliche Eigenschaften sind alle wertbildenden Faktoren wie Größe, Lage und Belastungen, nicht aber der Wert oder Marktpreis selbst (Stuttg FamRZ 09, 1182), auch nicht die bloße pauschale Annahme der Überschuldung des Nachlasses. Zu den verkehrswesentlichen Eigenschaften gehören die Höhe des Erbteils iSd quotenmäßigen Beteiligung (Hamm NJW 66, 1080 [OLG Hamm 27.11.1965 - 15 W 121/65]), die Berufung eines weiteren Miterben (BGH NJW 97, 392 [BGH 16.10.1996 - IV ZR 349/95]), das Vorliegen von Teilungsanordnungen (MüKo/Leipold § 1954 Rz 9), das Bestehen von Beschränkungen und Beschwerungen des Erben durch Testamentsvollstreckung, Nacherbfolge (BayObLG ZEV 96, 425), Vermächtnisse (BGH NJW 89, 2885) und Auflagen, und zwar unabhängig von den Voraussetzungen des § 2308 (hM; Kraiß BWNotZ 92, 31; aA Erman/Schmidt § 1954 Rz 3), die Vorstellung eine Nachlassverbindlichkeit sei verjährt (München, ZErb 15, 304) wenn der Irrtum ein Vermächtnis betrifft, welches den Pflichtteil des Erben gefährdet (BGH NJW 89, 2885 [BGH 08.02.1989 - IVa ZR 98/87]), der Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses, dh die Zugehörigkeit bestimmter Rechte oder Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten zum Nachlass, kann zur Anfechtung berechtigten, wenn er zur Vorstellung einer tatsächlich nicht bestehenden Überschuldung führte (KG ZEV 04, 283 [KG Berlin 16.03.2004 - 1 W 120/01]) sowie die Überschuldung des Nachlasses (Ddorf ZEV 00, 64) bei einer falschen Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses, der einen relevanten Irrtum nach § 119 II darstellt (BayObLG NJW 03, 216; KG FamRZ 18, 1114), nicht jedoch bei fehlerhafter Bewertung einzelner Nachlassgegenstände beruht. Beachtlich ist daher der Irrtum des Erben über die Zugehörigkeit einzelner Aktiva und Passiva zum Nachlass, wie zB die irrige Annahme, er habe bereits einen wesentlichen Nachlassbestandteil durch lebzeitige Übertragung erhalten (BayObLG ZEV 98, 430), der Irrtum über das Vorhandensein einer Nachlassverbindlichkeit (BayObLG FamRZ 99, 1172) oder die fehlende Kenntnis vom Vorhandensein werthaltiger Gegenstände (KG FamRZ 18, 1114).

 

Rn 10

Ist die Ausschlagung unabhängig von Grund und Höhe der Erbschaft oder des Nachlasswertes erfolgt, berechtigt ein Irrtum darüber nicht zur Anfechtung (Ddorf ZEV 05, 255). Auch kann die Ausschlagung, wenn sie auf der Grundlage ungenauer zeitferner Informationen abgegeben wird, weil der Erbe befürchtet, dass der Nachlass überschuldet ist, nicht angefochten werden, wenn sich herausstellt, dass der Nachlass werthaltig ist (Ddorf FamRZ 11, 1171). War dem Erben die Möglichkeit einer Überschuldung sogar bewusst, weil er sich über die Werthaltigkeit des Nachlasses gar keine Gedanken gemacht hat, liegt ein Irrtum ebenfalls nicht vor (Schlesw BtPrax 15, 247 [OLG Schleswig 31.07.2015 - 3 Wx 120/14]; Ddorf ZEV 21, 503 [FG Rheinland-Pfalz 20.11.2019 - 1 K 1899/18]); folgt der Ausschlagende einem behördlichen Rat, kann etwas anderes gelten (Ddorf ZEV 20, 484 [OLG Düsseldorf 27.01.2020 - 3 Wx 167/19]).

 

Rn 11

Ein unbeachtlicher Motivirrtum liegt vor, wenn die von Anfang an bekannten Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten nachträglich lediglich anders bewertet wurden, zB als Bauland statt Ackerland (BayObLG FamRZ 96, 59), der Erbe über die Höhe der von ihm zu entrichtenden Erbschaftssteuer irrt (Erman/Schmidt § 1954 Rz 3), ein Nachlassgläubiger eine Ausschluss- oder Verjährungsfrist verstreichen lässt (BayObLG NJW 03, 216 [BayObLG 05.07.2002 - 1 Z BR 45/01]), der Erbe bei der Ausschlagung ein in der ehemaligen DDR belegendes Grundstück für wertlos hielt und dieses Grundstück dann infolge der politischen Entwicklung eine erhebliche Wertsteigerung erfahren hat (Ddorf ZEV 95, 32) oder die Überschuldung erst nach der Ausschlagung durch Schulderlass oder Verjährung einer Nachlassverbindlichkeit wegfällt (LG Berlin NJW 75, 2104).

 

Rn 12

Ein Irrtum im Beweggrund ist auch die Unkenntnis über die rechtlichen Folgen der Annahme einer Erbschaft, wie zB der Verlust des Pflichtteilsrechts (BayObLG FamRZ 96, 59; aA Ddorf ZEV 01, 109) und das Nichtwissen der pflichtteils- und güterrechtlichen Folgen der Ausschlagung (Hamm NJW 81, 2585).

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