Rn 5

Ein Erbe ist aus Sicht des Nachlassgerichts unbekannt iSd § 1960, wenn nicht mit zumindest hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, wer Erbe ist (München ZEV 18, 704 [OLG München 16.08.2018 - 31 Wx 145/18]; Frankf ZEV 20, 95 [BFH 03.09.2019 - IX R 8/18]), etwa bei bereits erteiltem Erbschein, es sei denn, eine erfolgversprechende Beschwerde ist eingelegt (München FamRZ 20, 1879). Entspr gilt, wenn zwar mehrere Erben in Betracht kommen, das Nachlassgericht sich aber nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer von ihnen tatsächlich Erbe ist (Stuttg NJW-Spezial 15, 648), etwa bei Ungewissheit über die Gültigkeit eines Testaments (BayObLG FamRZ 96, 308), bei zahlreichen Testamenten (Ddorf Rpflger 16, 293), bei konkreten Anhaltspunkten für Testierunfähigkeit des Erblassers bei Errichtung des Testaments (Ddorf ErbR 12, 345), wenn die Geburt eines weiteren Erben erwartet wird, bei einer Erbunwürdigkeitsklage (Staud/Mesina § 1960 Rz 8), eine noch zu errichtende Stiftung als Erbe berufen ist oder bei Zweifel an der Verwandtschaft einer Person (Stuttg NJW 75, 880 [OLG Stuttgart 06.02.1975 - 8 W 93/74]). Unbekannt ist der Erbe insbes auch dann, wenn ein nicht offensichtlich unbegründeter Streit mehrerer Erbprätendenten über die eingetretene Erbfolge besteht (BGH ZEV 13, 36 [BGH 17.07.2012 - IV ZB 23/11]). Besteht danach ein Sicherungsbedürfnis, muss das Nachlassgericht geeignete Maßnahmen treffen. Ist der Erbe namentlich bekannt, nicht aber sein Aufenthalt, darf nur Abwesenheits-, nicht aber Nachlasspflegschaft angeordnet werden (Köln ErbR 11, 93). Ist ein Miterbe verstorben, liegen die Voraussetzungen des § 1960 für den Erstnachlass ebenfalls nicht vor (Ddorf NJW-RR 21, 200 [OLG Düsseldorf 02.11.2020 - 3 Wx 163/20]).

 

Rn 6

Steht für das Nachlassgericht mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, wer Erbe geworden ist (KG NJW-RR 99, 157 [KG Berlin 24.02.1998 - 1 W 364/98]), wobei nicht etwa letzte Gewissheit erforderlich ist (München ZEV 18, 704 [OLG München 16.08.2018 - 31 Wx 145/18]), ist der Erbe als bekannt anzusehen. Kommt dagegen die Anfechtung des maßgeblichen Testaments in Betracht und wird sie ernsthaft angekündigt, ist auch in diesem Fall die Nachlasspflegschaft anzuordnen (Schlesw FamRZ 11, 1898). Das gleiche gilt dort, wo die Beteiligten darüber streiten, ob die Anfechtung eines Erbvertrages durchgreift und daher nicht sicher feststeht, wer von mehreren Personen tatsächlich Erbe ist (Frankfurt ZEV 12, 417; BGH FamRZ 12, 1869). Ein erteilter Erbschein enthält die Vermutung für das Bekanntsein des Erben (BayObLG FamRZ 03, 561); allerdings kann die Einziehung des Erbscheins zur Unbekanntheit des Erben führen (BayObLGZ 62, 307), vor der Einziehung gilt die Vermutung der Erbenstellung (§ 2365) ggü jedermann, also auch dem Nachlassgericht, sodass eine Nachlasspflegschaft vor zumindest einstweiliger Rückgabe (§ 2361 Rn 10) hier nicht in Betracht kommt (vgl jedoch BayObLG FamRZ 04, 1067). Fehlen für die Erteilung des Erbscheins noch Nachweise, ist aber die Erteilung des Erbscheins wahrscheinlich, ist der Erbe bekannt (Schlesw NotBZ 14, 395 [OLG Schleswig 06.06.2014 - 3 Wx 27/14]). Sind unbekannte Nacherben zu Maßnahmen des Testamentsvollstreckers anzuhören, ist § 1960 nicht einschlägig, sondern ein Pfleger nach § 1913 zu bestellen (Bestelmeyer FamRZ 11, 145, aA Ddorf FamRZ 10, 1474).

 

Rn 7

Ist der zum Erben Berufene verschollen, besteht aber für ihn eine Lebendvermutung nach § 10 VerschG, es ist ihm ein Abwesenheitspfleger (§ 1884) zu bestellen; dies gilt auch dann, wenn zwar die Person des Erben bekannt, nur ihr Aufenthalt unbekannt ist (BGH NJW 52, 818 [BGH 06.03.1952 - IV ZR 80/51]). Entspr gilt auch für den Pflichtteilsberechtigten (BGH ZEV 21, 394 [BGH 17.03.2021 - XII ZB 415/19]).

 

Rn 8

Die Ungewissheit der Annahme einer Erbschaft steht der Ungewissheit über die Person des Erben gleich und liegt vor, wenn der bekannte Erbe gem I 1 die Erbschaft noch nicht angenommen hat oder gem I 2 seine Annahme ungewiss ist (BGH FamRZ 11, 1292). Unklarheit über den endgültigen Erben besteht auch dann, wenn ein mögliches nichteheliches Kind ein Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft des Erblassers betreibt, wenngleich an die Wahrscheinlichkeit der festzustellenden Vaterschaft wegen des nur vorübergehenden Sicherungscharakters der Bestellung eines Nachlasspflegers, keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (Schlesw FamRZ 11, 1898).

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