Gesetzestext

 

Hat der Erblasser einem Abkömmling, der zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung keinen Abkömmling hat oder von dem der Erblasser zu dieser Zeit nicht weiß, dass er einen Abkömmling hat, für die Zeit nach dessen Tode einen Nacherben bestimmt, so ist anzunehmen, dass der Nacherbe nur für den Fall eingesetzt ist, dass der Abkömmling ohne Nachkommenschaft stirbt.

A. Anwendungsbereich.

 

Rn 1

Die Vorschrift greift ein, wenn der zum Vorerben eingesetzte Abkömmling des Erblassers bei Errichtung der letztwilligen Verfügung seinerseits keine Abkömmlinge hat oder der Erblasser dies irrig annimmt. Hat der Erblasser gewusst, dass der zum Vorerben eingesetzte Abkömmling seinerseits Abkömmlinge hat, so zeigt die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft hingegen, dass der Nachlass nicht an diese gelangen soll.

 

Rn 2

Die Vorschrift setzt weiterhin voraus, dass der Nacherbfall (ausdrücklich oder kraft Auslegung oder gem § 2106 I) mit dem Tod des Vorerben eintreten soll. Sie greift also nicht ein, wenn der Nacherbfall durch einen bestimmten Zeitpunkt oder den Eintritt eines anderen Ereignisses definiert ist (§ 2105) oder wenn eine noch nicht gezeugte Person oder eine noch nicht entstandene juristische Person zum Nacherben eingesetzt ist (§ 2106 II).

 

Rn 3

Abkömmlinge des Vorerben sind auch nicht eheliche (§ 1589 1), ferner Adoptivkinder, wobei die Adoption bis zur Grenze des § 162 II auch nach dem Erbfall stattgefunden haben kann. Die Abkömmlinge des Vorerben müssen bei dessen Tod noch leben. Andererseits tritt mit ihrer bloßen Geburt noch kein Rechtsverlust für den eingesetzten Nacherben ein.

B. Hintergrund.

 

Rn 4

Die Vorschrift beruht auf der Überlegung, dass der Erblasser üblicherweise entferntere Abkömmlinge nicht hinter völlig Familienfremde zurücksetzen möchte. Es handelt sich um die unwissentliche Übergehung dieser Abkömmlinge. Dabei wird der Irrtum des Erblassers unterstellt. Eine Anfechtung durch den Vorerben ist nicht erforderlich. Dies kann dann anders sein, wenn der Erblasser auch ohne den Irrtum nicht iSd § 2107 testiert hätte.

C. Rechtsfolge.

 

Rn 5

Greift die Auslegungsregel, so besteht die Rechtsfolge in der Umdeutung der vom Erblasser verfügten unbedingten Einsetzung des Nacherben in eine auflösend bedingte. Tritt die Bedingung ein, stirbt also der Vorerbe unter Hinterlassung von Abkömmlingen, so entfällt die Nacherbschaft. Der Vorerbe wird rückwirkend zum Vollerben und gibt den Nachlass an seine Erben weiter, die insoweit wiederum Vollerben, nicht etwa Nacherben, sind. Sie müssen nicht identisch mit den Abkömmlingen sein, deren Existenz zur Anwendung des § 2107 geführt hat (BGH NJW 80, 1276, 1277). Verfügungen, zu denen der Vorerbe der Zustimmung des Nacherben bedurft hätte, bleiben wirksam.

D. Widerlegung.

 

Rn 6

Eine Auslegung zugunsten des Fortbestandes der Nacherbschaft und der eingesetzten Nacherben kommt in Betracht, wenn

  • die Abkömmlinge des Vorerben die Erbschaft ausschlagen, für erbunwürdig erklärt werden oder einen Erbverzicht erklären, oder
  • die eingesetzten Nacherben dem Erblasser näherstehen als die Abkömmlinge des Vorerben (BGH NJW 80, 1276; 81, 2743 [BGH 08.07.1981 - IVa ZR 177/80]) oder
  • überhaupt, wenn der Erblasser mit der Anordnung der Vor- und Nacherbschaft einen Zweck verfolgt hat, der ihm wichtiger war als die Abkömmlinge seines Abkömmlings zu bedenken, etwa wenn er einen Zugriff der Gläubiger des Vorerben auf den Nachlass ausschließen wollte (Nürnbg ZEV 13, 263 m Anm Litzenburger).
 

Rn 7

Natürlich ist die Anwendung des § 2107 ausgeschlossen, wenn der Erblasser die Nacherbschaft ausdrücklich für den Fall angeordnet hat, dass der Vorerbe noch Abkömmlinge bekommt und diese ihn überleben (BayObLG NJW-RR 91, 1094, 1095). Sie kann auch ausgeschlossen sein, wenn der zum Vorerben eingesetzte Abkömmling den in Betracht kommenden Abkömmling adoptiert hat (BayObLGZ 84, 246, 249). Hat der Erblasser nach Errichtung der letztwilligen Verfügung Kenntnis davon erlangt, dass der zum Vorerben eingesetzte Abkömmling seinerseits Abkömmlinge hat, und gleichwohl längere Zeit seine Verfügung nicht geändert, so ist dies allenfalls ein Indiz, aber kein zwingender Umstand gegen die Anwendung des § 2107.

 

Rn 8

Die Beweislast für einen ausdrücklich oder mutmaßlich von § 2107 abw Erblasserwillen liegt bei dem Nacherben, der trotz Existenz des Abkömmlings seinerseits Nacherbe bleiben will (Karlsr ZEV 09, 34 [OLG Karlsruhe 19.11.2008 - 7 U 8/08]).

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