Gesetzestext

 

Die Zuwendung des Pflichtteils ist im Zweifel nicht als Erbeinsetzung anzusehen.

A. Zweck.

 

Rn 1

Die negative Auslegungsregel stellt als Ausn zu § 2087 I klar, dass bei der mehrdeutigen Anordnung, jemand solle einen Pflichtteil erhalten, im Zweifel eine Erbeinsetzung nicht angenommen werden kann (Mot V, 391). In Betracht kommen eine Vermächtnisanordnung in Höhe des Pflichtteils oder Enterbung (§ 1938) durch Verweis auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht. Die Regel greift nur bei Zweifeln, nicht, wenn ein anderer Wille des Erblassers ausdrücklich erklärt oder durch Auslegung ermittelbar ist.

B. Praktische Bedeutung.

 

Rn 2

Praktisch relevant ist die Abgrenzung ua für die einseitige Ausschlagung nach dem Erbfall, die nur beim Vermächtnis (§§ 2176, 2180) möglich ist, während beim Pflichtteil insoweit nur Erlass, vor dem Erbfall aber Verzicht (§ 2346 II; zum Vermächtnis s § 2352) möglich ist, bei der Pfändung, die beim Pflichtteil nach § 852 ZPO erfolgt (NK/Bock Rz 5), für die Insolvenz (§ 327 I InsO), für die Entstehung der Steuerpflicht (Vermächtnis: Anfall; Pflichtteil: Geltendmachung), für die Verjährung (Pflichtteil: 3 Jahre; Vermächtnis: 30 Jahre); ferner wegen § 2307 sowie bei Zugewinngemeinschaft wegen § 1371.

C. Auslegung.

 

Rn 3

Nach allg Auslegungsgrundsätzen kommt der sprachlichen Fassung, also Worten wie ›Erbe‹ etc, für eine Erbeinsetzung Indizwirkung zu, insb, wenn der Verfügung eine rechtliche Beratung vorausging (NK/Bock Rz 2). Für eine Pflichtteilszuwendung als Erbeinsetzung, die mangels Enterbung iSv § 2303 einen Pflichtteilsanspruch ausschließt, spricht, dass der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten Mitverwaltungsrechte und eine Sachwertteilhabe am Nachlass einräumen wollte (Damrau/Riedel Rz 9; MüKo/Lange Rz 2). Scheidet eine Erbeinsetzung aus, ist zwischen einer Enterbung und einer Vermächtnisanordnung (Rn 1) danach zu unterscheiden, ob der Erblasser beschränken oder gewähren, dh den Pflichtteilsberechtigten von allem ausschließen oder ihm etwas zuwenden wollte (BGH NJW 04, 3558, 3559). Manche verlangen für eine Vermächtnisanordnung, dass der Erblasser erkennbar die Anwendung pflichtteilsrechtlicher Grundsätze ganz oder teilw vermeiden wollte (abl Nürnbg FamRZ 03, 1229: Überlagerungen sind denkbar), und gehen ansonsten von Verweisung auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht aus (Grünewald/Weidlich Rz 2). Bei Zweifeln ist die Verweisung auf den Pflichtteil als Enterbung, nicht als Vermächtnisanordnung anzusehen (NK/Bock Rz 7). Ist ein Vermächtnis anzunehmen, können pflichtteilsrechtliche Vorschriften teils anwendbar sein, zB ein Auskunftsanspruch entspr § 2314 nach § 242 (Nürnbg aaO).

D. Pflichtteilszuwendung an Ehegatten.

 

Rn 4

Bei Zugewinngemeinschaft erlangt der überlebende Ehegatte mit Enterbung einen Anspruch auf den kleinen Pflichtteil und güterrechtlichen Zugewinnausgleich (§ 1371 II; § 2303 Rn 10). Bei Zuwendung des Pflichtteils als Erbeinsetzung oder Vermächtnis bleibt offen, ob für die Berechnung der große oder kleine Pflichtteil gemeint ist. Für Verfügungen nach Inkrafttreten des GleichberG am 1.7.58 gibt es keine Regelvermutung. Praktisch ist die Frage ohne Bedeutung: Bei Zuwendung des kleinen Pflichtteils als Erbeinsetzung oder Vermächtnisanordnung kann der Ehegatte den Wertunterschied zum großen Pflichtteil verlangen (§§ 2305, 2307 I 2; Damrau/Riedel Rz 4; MüKo/Lange Rz 8). Ansonsten kann er ausschlagen und damit den kleinen Pflichtteil sowie güterrechtlichen Zugewinnausgleich erlangen (§ 1371 III). Soll der große Pflichtteil zugewandt sein, kann es sich nur um eine Vermächtnisanordnung, ausnahmsweise auch um eine Erbeinsetzung handeln (MüKo/Lange Rz 8).

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