Rn 1

Nach seinem Wortlaut stellt § 270 eine Zweifelsregel für Fälle auf, bei denen zweifelhaft ist, wo der Zahlungsort für Geldschulden liegt. Auf diese gesetzliche Auslegungshilfe ist auch zurückzugreifen, wenn die Parteien gar keine Vereinbarung getroffen haben (Soergel/Forster § 270 Rz 1). Der Leistungsort liegt mangels anderer Regelung gem §§ 269 I, 270 IV am Wohnsitz des Schuldners, doch trifft den Schuldner nach § 270 I die Verpflichtung, Geld auf eigene Kosten und Gefahr an den Wohnsitz des Gläubigers zu übermitteln. Auf dieser Grundlage wurde die Geldschuld von der hA lange Zeit als qualifizierte Schickschuld verstanden, die einer Bringschuld angenähert ist, aber Unterschiede hinsichtlich des Gerichtsstands (§ 29 ZPO) und der Rechtzeitigkeit der Leistung aufweist: Es genüge das rechtzeitige Absenden des Geldes (Rn 7); die Verzögerungsgefahr treffe den Gläubiger (Jauernig/Stadler § 270 Rz 7; weiterhin Schwab NJW 11, 2033 [EuGH 08.03.2011 - Rs. C-34/09]; vgl MüKoBGB/Krüger § 270 Rz 2; Erman/Artz § 270 Rz 1, 9). Der EuGH hat entschieden, dass Art 3 I lit c Ziff ii der Zahlungsverzugs RL 2000/35/EG (nunmehr wortgleich in Art 3 I lit b der Zahlungsverzugs RL 2011/7/EU) dahingehend auszulegen sei, dass bei Zahlung durch Banküberweisung der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers rechtzeitig (bei Fälligkeit) gutgeschrieben sein müsse, wenn das Entstehen von Verzugszinsen vermieden werden soll (C-306/06 Telecom, WM 08, 678; dazu Gsell GPR 08, 165; Herresthal ZGS 08, 259; Gebauer/Wiedmann/Schmidt-Kessel/Beyer Kap 5 Rz 29; Aspöck ecolex 08, 873). Daraus folgert nun ein Teil der Lehre, dass Geldschulden jedenfalls im Anwendungsbereich der RL – entsprechend der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers des BGB – als modifizierte Bringschuld zu qualifizieren sind (zB Gsell GPR 08, 169 ff; Herresthal ZGS 08, 263 ff; Aspöck ecolex 08, 875; s bereits Schön AcP 198, 442 ff; Staud/Bittner/Kolbe § 270 Rz 2 f; Freitag AcP 213, 166; Grüneberg/Grüneberg § 270 Rz 1; für eine Anwendung auch außerhalb des Anwendungsbereichs der RL Karlsr WM 11, 1425; für Bringschuld auch aus allgemeinen Erwägungen Meier JuS 18, 940; Meier, ZMR 18, 899). Hierfür spricht die Auslegung der Zahlungsdienste RL 2007/64/EG. Demgegenüber hält ein anderer Teil der Lehre (Schwab NJW 11, 2833; MüKoBGB/Krüger § 270 Rz 17; Erman/Artz § 270 Rz 9 mwN) und nun auch der BGH (NJW 17, 1596 [BGH 05.10.2016 - VIII ZR 222/15]) an der bisherigen Einordnung als qualifizierter Schickschuld fest. Richtig erscheint, dass das Gemeinschaftsrecht die Frage des Leistungsortes gar nicht aufgreift (Scheuren-Brandes ZIP 08, 1463). Das vom EuGH vertretene Auslegungsergebnis ist nämlich unabhängig von der Qualifikation der Geldschuld als (qualifizierte) Schick- oder (modifizierte) Bringschuld möglich; bei Qualifikation als Schickschuld muss unter Gefahr iSd § 270 I eben auch die Verzögerungsgefahr verstanden werden (Gebauer/Wiedmann/Schmidt-Kessel/Beyer Kap 5 Rz 31). ISd Rechtssicherheit sollte aber die Geldschuld nach nationalem Recht nunmehr als modifizierte Bringschuld qualifiziert werden (so nunmehr zB § 907a öABGB; Zöchling-Jud, FS Schilken, 167 ff). Auch PECL, DCFR und GEK-E stufen die Geldschuld als Bringschuld ein (allg zu Regelungen in europäischen Vertragsrechtsgrundsätzen Freitag AcP 213, 162). Die Unterscheidung in Verlust- und Verzögerungsgefahr ist entbehrlich; für den Gerichtsstand ist dennoch auf den Wohnsitz des Schuldners abzustellen (Schön AcP 198, 443; Staud/Bittner/Kolbe § 270 Rz 2).

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