Rn 30

Diese sind bei gegenseitigen Verträgen in den Grenzen des Zumutbaren unbeachtlich. Das gilt sowohl für eine Wertminderung des Entgelts (insb durch Geldwertschwund, etwa BGHZ 86, 167, 186 f) wie auch für Kostensteigerungen bei der Leistungserbringung. Dies gilt im Grundsatz auch für in ausländischer Währung zu leistende Schulden (BGHZ 183, 287 zur Morgengabe; krit Wurmnest JZ 10, 736). Doch ist bei Dauerschuldverhältnissen § 314 zu beachten, nach dem die Bindung an den ungleichgewichtig gewordenen Vertrag wenigstens für die Zukunft uU leichter beendet werden kann. Zur Behandlung von Verträgen, die von einem möglichen Euro-Austritt betroffen sind Albrecht ZIP 12, 1059; Kindler NJW 12, 1617; zum Brexit Paulus in Kramme ea Brexit Privat und wirtschaftsrechtliche Folgen, 2. Aufl 20, 234; Schmidt-Kessel ZIP 18, 2199; Rüscher EuZW 18, 937; Weller/Schlürmann FS Hopt [20], 1449. Zur Anwendung im Baurecht bei Mengenänderungen und Ablaufstörungen Kniffka BauR 20, 329.

 

Rn 31

Ausnahmsweise beachtlich sind dagegen Äquivalenzstörungen, bei denen das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung so stark gestört ist, dass die Grenze des übernommenen Risikos überschritten und das Interesse der benachteiligten Partei auch nicht mehr annähernd gewahrt ist (so etwa BGHZ 77, 194, 198 f); für Bausparverträge aufgrund der Niedrigzinsphase Freitag ZIP 21, 1785. Beim Erbbauzins soll dafür eine Geldentwertung von 60 % genügen (BGHZ 90, 227, 229; 119, 220, 222). Dazu passt freilich kaum BGH NJW 66, 105, wo für einen 1901 vereinbarten Förderzins eine Geldentwertung bis 1963 auf ein Drittel unbeachtlich bleiben sollte. Eine Anwendung von § 313 kommt auch dann in Betracht, wenn der Vertrag zwar eine Wertsicherungsklausel aufweist, diese aber ihren Zweck nicht mehr erfüllt (BGH WM 12, 1080, Tz 19).

 

Rn 32

Eher ist eine Grundlagenstörung bei einer Vereinbarung über Ruhegelder oder Pensionen bejaht worden, die also einem Versorgungszweck dienen: Hier hat BAG NJW 73, 959 ff eine Steigerung der Lebenshaltungskosten von 40 % genügen lassen, und BGHZ 61, 31, 35 hat sich dem unter Aufgabe seiner früheren abweichenden Rspr angeschlossen. Später ist dieselbe Problematik durch § 16 des G zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.74 speziell geregelt worden. Entspr haben auch BGHZ 79, 184, 194 ff; 97, 52, 61 ff erlaubt, bei der Bemessung einer nach § 843 III geschuldeten Kapitalabfindung wegen Arbeitsunfähigkeit die voraussichtlich kommende Geldentwertung zu berücksichtigen. Verneinend für die Erhöhung der handelsbilanziellen Rückstellung zur Finanzierung laufender Betriebsrenten BAG ZIP 21, 480.

 

Rn 33

Umgekehrt kann die Äquivalenz aber auch dadurch gestört sein, dass die Leistung nur mit einem unvorhergesehenen Mehraufwand oder großen Schwierigkeiten erbracht werden kann. Solche Fälle sind früher oft über das Institut der wirtschaftlichen Unmöglichkeit gelöst worden. Dorthin passen sie aber nicht ohne weiteres, weil § 275 II, III eine Abwägung mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers fordert (s.a. Rn 6 zur Abgrenzung). Bejaht worden ist eine Grundlagenstörung etwa bei einer Steigerung der Herstellungskosten auf das 15-fache (RGZ 101, 79, 81) oder bei Eingriffen durch die staatliche Wirtschaftslenkung (P. Ulmer AcP 174, 167 ff). Preissteigerungen, die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöst wurden (etwa hinsichtlich FFP2-Masken, Desinfektionsmittel oder bestimmter Pharmaprodukte) können beachtliche Äquivalenzstörungen nach sich ziehen (Weller/Lieberknecht/Habrich NJW 20, 1017, 1021 f). In Bezug auf die Gewerberaummiete (Rn 16) gilt: Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Deshalb kommt eine pauschale Herabsetzung der Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung um die Hälfte nicht in Betracht. Bei der Abwägung ist von Bedeutung, welche Nachteile durch die Geschäftsschließung entstanden sind (zB Umsatzrückgang im konkreten Mietobjekt) und welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. Zur Vermeidung einer Überkompensierung der entstandenen Verluste sind grds auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat (BGH ZIP 22, 174 Rz 57 ff; 22, 532 Rz 32 ff; WM 22, 1756 Rz 38 ff). Zur Vertragsanpassung bei Ticketverkäufen infolge der COVID-19-Pandemie Drechsler/Harenberg SpuRt 20, 241). Zu Äquivalenzstörungen durch Änderungen der Gesetzgebung etwa BAG NJW 80, 1912, 1914 f einerseits und BGH WM 00, 1198 andererseits.

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