Gesetzestext

 

(1) Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede eigene Rechtsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse hat, so gilt für die Bestimmung des nach dieser Verordnung anzuwendenden Rechts jede Gebietseinheit als Staat.

(2) Ein Mitgliedstaat, in dem verschiedene Gebietseinheiten ihre eigenen Rechtsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse haben, ist nicht verpflichtet, diese Verordnung auf Kollisionen zwischen den Rechtsordnungen dieser Gebietseinheiten anzuwenden.

A. Grundsatz: Gebietseinheit als Staat.

 

Rn 1

Art 22 behandelt – ebenso wie Art 19 I EVÜ bzw früher ex Art 35 EGBGB (www.pww-oe.de) – jede Gebietseinheit eines Mehrrechtsstaates als eigenen Staat. Damit wird mit der Anwendung von ROM I die interlokale Frage mitgelöst. Führt die Anwendung von ROM I zum Recht eines Mehrrechtsstaates (zB Australien, Kanada, Mexiko, USA, Vereinigtes Königreich; s. Übersicht bei Meyer RabelsZ 83, 721–725), kommt dessen interlokales Recht nicht zur Anwendung (Rauscher/Freitag Art 22 Rz 2). Es gilt das in der Gebietseinheit geltende Sachrecht mit den bei Art 20 dargestellten Grenzen (s Art 20 Rn 2).

B. Zweifelsfälle: Unklare Rechtswahl.

 

Rn 2

Im Falle einer unklaren Wahl des Rechtes eines Mehrrechtsstaates (Frankf NJW-RR 00, 1367, 1368 [BGH 24.05.2000 - IV ZR 166/99]: ›amerikanisches‹ Recht; Hambg IPRspr 98 Nr 34: ›europäisches‹ Recht) ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Parteien hinreichend eindeutig eine Rechtswahl iSv Art 3 I 2 zu Gunsten einer Gebietseinheit getroffen haben (MüKoIPR/Martiny Art 22 Rz 6; Meyer RabelsZ 83, 721, 731 f). Hat etwa eine der Parteien ihren Sitz oder eine Niederlassung in einer Gebietseinheit des Mehrrechtsstaates oder liegt der Erfüllungsort in einer Gebietseinheit des Mehrrechtsstaates, sind dies bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigende Kriterien (arg Art 4 II, 3). UU kann auch das interlokale Privatrecht des Mehrrechtstaates – soweit vorhanden – Auslegungskriterium sein (so Reithmann/Martiny/Martiny Rz 2.306; Meyer RabelsZ 83, 721, 732). Ist keine Auslegung des Parteiwillens möglich, ist das anwendbare Recht nach Art 4, 22 I zu bestimmen (s.o. Rn 1), wobei jede Gebietseinheit als Staat gilt. – Die zu der Vorgängernorm Art 35 EGBGB argumentierte Analogie zu Art 4 III EGBGB (s ex Art 35 EGBGB, Rz 6, www.pww-oe.de) scheidet bei autonomer Auslegung von Art 22 aus (ebenso Grüneberg/Thorn Art 22 Rz 3; Rauscher/Freitag Art 22 Rz 3; aA MüKoIPR/Martiny Art 22 Rz 9).

C. Interlokales Recht (Abs 2).

 

Rn 3

II stellt klar, dass die Mitgliedstaaten frei bleiben, ihr interlokales Schuldrecht zu regeln. Für die Bundesrepublik Deutschland ist diese Regelung unerheblich, da das Schuldrecht für ganz Deutschland einheitlich gestaltet ist (Art 230 ff EGBGB, s Einleitung BGB Rn 23).

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