Rn 19

Die vom Gläubiger bestimmte Frist (dh ihre Dauer) muss angemessen sein. Die Frist muss nicht so reichlich bemessen sein, dass der Schuldner die noch nicht vorbereitete Leistung überhaupt erst beginnen und danach fristgemäß fertig stellen kann. Vielmehr soll dem Schuldner nur eine letzte Gelegenheit gewährt werden, die schon begonnene Erfüllung noch zu beenden (RGZ 89, 123, 125; BGH NJW 85, 320, 323 [BGH 31.10.1984 - VIII ZR 226/83]; 855, 857 [BGH 06.12.1984 - VII ZR 227/83]; MüKo/Ernst Rz 77). Doch soll eine unangemessen kurze Frist idR die angemessene Frist in Lauf setzen (stRspr, etwa BGH NJW 85, 2640; BGH NJW 21, 464 [BGH 14.10.2020 - VIII ZR 318/19]). Eine Ausnahme gilt aber, wenn der Gläubiger die Frist nur zum Schein gesetzt hat oder zu erkennen gibt, dass er die Leistung nach einer längeren, aber angemessenen Frist nicht mehr annehmen will (BGH NJW 85, 2640 [BGH 21.06.1985 - V ZR 134/84]).

 

Rn 20

Nach der Rspr des BGH soll eine Aufforderung, die Leistung ›in angemessener Zeit‹, ›umgehend‹ oder ›so schnell wie möglich‹ zu bewirken, genügen, sofern damit eine zeitlich bestimmbare Grenze gesetzt wird (BGH NJW 09, 3153, 3154; NJW 15, 2564 [BGH 18.03.2015 - VIII ZR 176/14] Rz 11; BGH NJW 16, 3654 [BGH 13.07.2016 - VIII ZR 49/15] Rz 25). Daran ist problematisch, dass ein Verlangen nach sofortiger Leistung mangels Dauer überhaupt keine Fristsetzung bedeutet (MüKo/Ernst Rz 74; krit auch Faust JZ 10, 202 [BGH 12.08.2009 - VIII ZR 254/08]; R. Koch NJW 10, 1636; Höpfner NJW 16, 3633). Nachdem eine zu kurz gesetzte Frist jedoch regelmäßig in eine angemessene Frist umgedeutet wird (Rn 19), ist es konsequent, wenn es der BGH (aaO) ausreichen lässt, dass der Gläubiger eine unmissverständliche Aufforderung zur Leistungserbringung innerhalb einer begrenzten (aber bestimmbaren) Zeitspanne ausspricht. Zur Fristsetzung als Obliegenheit des säumigen Schuldners Dubovitskaya JZ 12, 328.

 

Rn 21

Im Geltungsbereich der mittlerweile durch die WarenkaufRL abgelösten VerbrGKRL kam es für den Rücktritt nur darauf an, ob der Verkäufer ›innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat‹ (Art 3 V 2. Spiegelstrich VerbrGKRL). § 323 war in diesem Sinne richtlinienkonform anzuwenden (ganz hM,s. Stürner, Europäisches Vertragsrecht 21, § 22 Rz 59 ff mN; s.a. LG Stuttg BB 12, 974; Vorlage LG Hannover BauR 16, 1522 vom EuGH als außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der VerbrGKRL liegend verworfen, EuGH 9.7.17, C-247/16 – Schottelius, NJW 17, 3215). Daher war fraglich, ob die Entscheidung des BGH (NJW 09, 3153 [BGH 12.08.2009 - VIII ZR 254/08]), die außerhalb des Anwendungsbereichs der VerbrGKRL erging, eine gespaltene Auslegung zu vermeiden geeignet ist. Doch dürften die Unterschiede in der Sache angesichts der jüngeren BGH-Judikatur (Rn 20) gering sein. Der BGH lässt jedenfalls auch im Geltungsbereich der VerbrGKRL erkennen, dass er angesichts der geringen Anforderungen an die Fristsetzung wohl nicht von einem Richtlinienverstoß ausgehen würde. Jedenfalls scheide eine richtlinienkonforme Rechtsanwendung deswegen aus, weil der Gesetzgeber den möglichen Richtlinienverstoß erkannt, sich aber dennoch bewusst für die in § 323 I normierte Lösung entschieden habe (BGHZ 227, 15 Rz 45 ff). Seit dem 1.1.22 ergibt sich nunmehr aus § 475d I Nr 1 eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung trotz Ablaufs einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher ihn über den Mangel unterrichtet hat, nicht vorgenommen hat.

 

Rn 22

Bei der Fristbemessung sind nicht nur die Interessen des Schuldners zu berücksichtigen, sondern auch diejenigen des Gläubigers (MüKo/Ernst Rz 76; vgl auch II Nr 3). Ebenso spielt eine Rolle, dass der Schuldner für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat (§ 276 Rn 32 ff); Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung führen daher idR nicht zu einer Verlängerung (BGH NJW 85, 2640 [BGH 21.06.1985 - V ZR 134/84]). In Einzelfällen kann auch eine Frist von bis zu einem Jahr angemessen sein, so zum ›Dieselskandal‹ München, 23.3.17, Az 3 U 4316/16 – juris Rz 14; s.a. Nürnbg MDR 18, 863 [OLG Nürnberg 24.04.2018 - 6 U 409/17] (zwei Monate unangemessen kurz); wesentlich kürzer Köln NJW-RR 18, 1141 [OLG Köln 28.05.2018 - 27 U 13/17] (sieben Wochen angemessen). Die Frist muss so bemessen sein, dass vor Fristablauf die Leistungshandlung vorgenommen sowie auch der Leistungserfolg bewirkt werden können (BGHZ 227, 15 Rz 24 ff).

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