BGH erschwert das Rücktrittsrecht beim Kauf eines abgasmanipulierten Diesel-Kfz
Die Rechtsprechung des BGH zu Schadenersatz und Rücktritt für Käufer eines Schummel-Diesel wird zunehmend komplexer. In seiner jüngsten Entscheidung zum sogenannten Dieselskandal hat der BGH dem Käufer eines Skoda Yeti mit eingebautem VW-Diesel, abgasmanipulierend, das Recht zum Rücktritt vom Kaufvertrag zunächst verweigert und von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, deren Vorliegen das Berufungsgericht noch klären muss.
Kauf eines Skoda-Diesel mit eingebauter VW-Abgas-Software
In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Kläger im Jahr 2015 bei einer Händlerin ein Neufahrzeug Skoda Yeti erworben, in dem ein von Volkswagen hergestellter Dieselmotor des Typs EA 189 eingebaut war. Der Motor war mit der bekannten Steuerungssoftware versehen, die auf dem Prüfstand den Ausstoß von Stickoxiden verringert.
Händlerin verweigerte Rückabwicklung des Kaufvertrags
Im Herbst 2017 erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Händlerin verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Käufer auf das von der Volkswagen AG entwickelte und von der Zulassungsbehörde inzwischen freigegebene Software-Update, mit dem ein vorschriftsmäßiger Stickoxidausstoß hergestellt werden könne. Der Käufer ließ das Software update nicht aufspielen. Er befürchtete negative Folgen für die Lebensdauer des Fahrzeugs, den Verbrauch und die Motorleistung.
Klage des Käufers zunächst weitgehend erfolgreich
Die Vorinstanzen hatten den Rücktritt des Käufers als wirksam angesehen, obwohl dieser gegenüber dem Verkäufer kein Nachbesserungsverlangen gestellt hatte. Nach Auffassung des Berufungsgerichts war das Nachbesserungsverlangen entbehrlich, weil der Fahrzeughersteller den Kunden über die Beschaffenheit des Fahrzeugs arglistig getäuscht hatte und damit das Vertrauen des Käufers in eine ordnungsgemäße Nacherfüllung so erschüttert war, dass nach Auffassung des Berufungsgerichts ein Nachbesserungsverlangen mit Fristsetzung entbehrlich war.
BGH: Nacherfüllungsverlangen ist die gesetzliche Regel
Diese Begründung des Berufungsgerichts bewertete der BGH als rechtsfehlerhaft. Die Entbehrlichkeit des Fristsetzungserfordernisses sei eine Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall. Ein Rücktritt gemäß §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB setze neben einem Sachmangel im Sinne des § 434 BGB voraus, dass der Käufer dem Verkäufer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung setzt.
Nacherfüllungsverlangen nur ausnahmsweise entbehrlich
Nur wenn besondere Umstände vorlägen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Ausübung des Rücktrittsrechts gemäß § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB oder gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB rechtfertigen, sei das Nachbesserungsverlangen entbehrlich. Ein solcher Umstand liege nach der Rechtsprechung des BGH dann vor, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bei Abschluss des Kaufvertrages bekannten Mangel arglistig verschwiegen hat (BGH, Urteil v. 9.1.2008, VIII ZR 210/06).
Keine automatische Zurechnung der Herstellerarglist auf dem Händler
Nach dem Urteil des BGH hat das Berufungsgericht verkannt, dass nicht der Verkäufer (Händlerin) den unstreitig vorliegenden Mangel infolge der eingebauten Schummelsoftware verschwiegen hat, sondern der Fahrzeughersteller. Dieses arglistige Verhalten des Fahrzeugherstellers sei der Händlerin, der der Mangel selbst nicht bekannt gewesen sei, nicht ohne weiteres zuzurechnen. Eine solche Zurechnung sei nur bei einem weiteren arglistiges Verhalten, beispielsweise durch das Angebot einer nur unzureichenden Mängelbeseitigungsmaßnahme, möglich.
Unzumutbarkeit des Nacherfüllungsverlangens erfordert individuelle Abwägung
In diesem Kontext fordert der BGH eine dezidierte, inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gesamtumständen des Einzelfalls. Grundsätzlich könne die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss zwar ordnungsgemäß verhalten hat, zur Beseitigung des Mangels aber lediglich eine Nachbesserung in Form eines unzureichenden Software-Updates anbietet.
Ob eine solche Störung des Vertrauensverhältnisses im Einzelfall tatsächlich anzunehmen ist, dürfe der Tatrichter aber nicht schematisch, sondern nur im Rahmen einer sorgfältigen Abwägung entscheiden. Hierbei sei die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, die dem Verkäufer das „Recht einer zweiten Andienung“ einräume.
Ungeeignetheit des VW-Software-Updates noch nicht erwiesen
Ob das vom Verkäufer angebotene Software-Update eine solche unzureichende Mängelbeseitigungsmaßnahme darstellt, ist nach Auffassung des Senats nicht erwiesen. Insbesondere habe das Berufungsgericht nicht ohne weitere Nachprüfung davon ausgehen dürfen, dass das vom Autohersteller angebotene Software-Update die Gefahr von Motorschäden, die Verkürzung der Lebensdauer des Motors oder Leistungseinbußen des Motors zur Folge habe. Hierzu gebe es keine gesicherten Erkenntnisse, deshalb habe das Berufungsgericht in diesem Fall Beweis durch Sachverständigengutachten erheben müssen. Auch die Beobachtung der weiteren Entwicklung durch die Fachöffentlichkeit könne in diesem Zusammenhang relevant sein.
Käufer muss Unzumutbarkeit der Nacherfüllung beweisen
Die angebotene Nachbesserung sei nur dann für den Käufer unzumutbar, wenn mit weiterem arglistigem Verhalten des Herstellers in Zusammenhang mit dem Software-Update zu rechnen sei. Nur in einem solchen Fall müsse der Käufer mit dem Recht zum sofortigen Übergang auf die sekundären Gewährleistungsrechte vor möglichen weiteren Täuschungen geschützt werden. Der BGH betont insoweit, dass der Käufer für die Unzumutbarkeit darlegungs- und beweisbelastet ist. Erweise sich, dass ein weiteres arglistiges Verhalten des Herstellers im Rahmen der Nacherfüllung auszuschließen sei, so sei die angebotene Nachbesserung durch Einbau des Software-Updates nicht unzumutbar.
Käufer wollte sich weniger Nutzungsvorteile anrechnen lassen
Schließlich stellte der BGH auf die Revision des Käufers fest, dass die Berechnung des zu erbringenden Nutzungsersatzes auf der Grundlage einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km durch die Vorinstanz nach seiner Auffassung angemessen ist. Der Käufer seinerseits hatte seiner Klage eine erwartbare Gesamtlaufleistung von 400.000 km zugrunde gelegt, was zu einer Verringerung der anzurechnenden gezogenen Nutzungsvorteile geführt hätte.
Vorinstanz muss erneut prüfen und entscheiden
Im Ergebnis waren nach Auffassung des BGH die Feststellungen der Vorinstanzen nicht hinreichend, um das Recht des Verkäufers zur Nacherfüllung zu beseitigen. Zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Entbehrlichkeit des Nacherfüllungsverlangens seien weitere Feststellungen erforderlich. Zur weiteren Sachaufklärung hat der BGH daher den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen.
(BGH, Urteil v. 29.9.2021, VIII ZR 111/20).
Hintergrund: Maßgebliche BGH-Entscheidungen zum Dieselrücktritt
Die Entscheidungen des BGH zum Rücktrittsrecht der Käufer von abgasmanipulierten VW-Dieseln sind inzwischen vielfältig und machen es betroffenen Käufern nicht immer leicht, die Erfolgsaussichten einer möglichen Klage nach Kauf eines Schummeldiesels zu beurteilen. Nachfolgend einige der maßgeblichen BGH-Entscheidungen:
Grundsatzentscheidung des BGH zur Frage der Arglist
Die erste Grundsatzentscheidung des BGH betraf den Kauf eines knapp zwei Jahre alten Gebrauchtwagens VW Sharan im Januar 2014. Das Fahrzeug verfügte über einen Dieselmotor der Baureihe EA 189, Schadstoffklasse EU 5 mit der bekannten Manipulationssoftware, die auf dem Rollenprüfstand einen Abgasrückführungsmodus mit einem niedrigeren Stickstoffdioxid-Ausstoß als im Normalbetrieb auf der Straße einleitet. Den in der Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt nicht bekannten Einbau dieser Schummel-Software bewertete der BGH als arglistige Täuschung der Kunden durch VW und damit als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB. Der BGH verpflichtete VW zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Bereits in dieser Entscheidung bejahte der BGH allerdings die Anrechnung der gezogenen Nutzungen in Form der zurückgelegten Kilometer als Abzugsposten vom Rückzahlungsbetrag (BGH, Urteil v. 25.5.2020, IV ZR 252/19).
Fahrzeugkauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals
In einem weiteren Fall hatte der Käufer sein Fahrzeug, einen VW Touran, dessen Dieselmotor ebenfalls mit der Schummel-Software ausgestattet war, erst im August 2016 gekauft. Zu diesem Zeitpunkt war der „Diesel-Skandal“ in der Öffentlichkeit bereits bekannt.
Der BGH entschied, dass das Verhalten von VW gegenüber Käufern, die erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals ein betroffenes Fahrzeug gekauft haben, keine arglistige sittenwidrige Täuschung war. Der Käufer sei nicht mehr arglos gewesen. Ein Anspruch auf Schadenersatz für Käufer, die nach September 2015 ein Fahrzeug erworben haben, scheide aus.
(BGH, Urteil v. 30.7.2020, VI ZR 5/20)
Nutzungsvorteile können Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren
In einem weiteren Diesel-Urteil hat der BGH den Schadensersatzanspruch des Käufers eines Fahrzeugs mit eingebauter Schummel-Software deshalb verneint, weil das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits eine Laufleistung von ca. 255.000 km aufwies. Der Käufer habe sämtliche Nutzungsvorteile gezogen, die beim Kauf des Fahrzeugs für dessen gesamte Lebensdauer zu erwarten gewesen seien. Damit sei der grundsätzlich bestehende Schadensersatzanspruch durch die gezogenen Nutzungsvorteile vollständig aufgezehrt.
(BGH, Urteil v. 30.7.2020, VI ZR 354/19)
Keine Deliktszinsen für geschädigte VW Käufer
In einer weiteren Entscheidung hat der BGH einen Anspruch der Dieselkäufer auf Zahlung von Deliktzinsen gemäß § 849 BGB verneint. Nach Auffassung des BGH hatte die Vorinstanz § 849 BGB hier zu Unrecht angewendet. Die Vorschrift erfasse zwar grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, also auch den Verlust von Geld, den die Dieselkäuferin in Form der Zahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug erlitten hat. Der BGH schloss eine Anwendung von § 849 BGB aber deshalb aus, weil die Klägerin als Gegenleistung für die Zahlung ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten habe. Durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit sei der Verlust des Geldwertes kompensiert worden. § 849 BGB habe den Zweck, den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache durch eine pauschalierte Verzinsung auszugleichen. Da der Verlust der Käuferin im konkreten Fall aber kompensiert worden sei, entspreche eine Verzinsung hier nicht dem Zweck der Verzinsungsvorschrift.
(BGH, Urteil v. 30.7.2020, VI ZR 397/19).
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