Gesetzestext
(1) 1Für die Zwecke dieser Verordnung ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen der Ort ihrer Hauptverwaltung. 2Wenn jedoch das schadensbegründende Ereignis oder der Schaden aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung herrührt, steht dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der Ort gleich, an dem sich diese Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet.
(2) Im Sinne dieser Verordnung ist der gewöhnliche Aufenthalt einer natürlichen Person, die im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt, der Ort ihrer Hauptniederlassung.
Rn 1
Art 23 präzisiert den in vielen Anknüpfungsregeln (Art 4 II, 5 I 1 lit a, 5 I 2, 10 II, 11 II, 12 II lit b) verwendeten Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts für bestimmte Zweifelsfälle. Die Norm baut auf Art 4 II EVÜ sowie teilw auf Art 60 EuGVVO aF (der allerdings auf den Wohnsitz abstellt, zu Unterschieden insb Schack in v Hein/Rühl, Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union 16, 279, 289) auf, so dass iRd autonomen Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts die im Zusammenhang mit diesen Normen entwickelten Grundsätze heranzuziehen sind. Eine weitgehend (wenn auch nicht vollständig, s.u. Rn 3) parallele Regelung enthält Art 19 ROM I.
Rn 2
Art 23 I definiert den gewöhnlichen Aufenthalt von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen. Gesellschaften, Vereine oder juristische Personen sind Vereinigungen oder Vermögensmassen, die Partei eines Rechtsstreits sein können (Grüneberg/Thorn Art 19 ROM I Rz 2 mwN). Ob sie darüber hinaus in der Lage sein müssen, sich vertraglich zu verpflichten (s zB BeckOK/Spickhoff Art 23 Rz 2; Grüneberg/Thorn Art 19 ROM I Rz 2), erscheint im Kontext außervertraglicher Schuldverhältnisse zweifelhaft; hier kommt es darauf an, ob die Personenvereinigung Adressatin von Verhaltenspflichten sein kann. Der gewöhnliche Aufenthalt solcher Vereinigungen ist nach Art 23 I 1 idR am Ort ihrer Hauptverwaltung zu lokalisieren. Dies ist der faktische Sitz, an dem die zentralen Leitungsentscheidungen getroffen werden (BeckOK/Spickhoff Art 23 Rz 2); nicht entscheidend ist der Registrierungs- oder Gründungsort. Wenn das schadensbegründende Ereignis (der Begriff ist nach Art 2 I iVm Sinn und Zweck der VO erweiternd auszulegen als Ereignis, das ein außervertragliches Schuldverhältnis iS der VO begründet) oder der Schaden aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung herrührt, ist der gewöhnliche Aufenthalt dort anzunehmen. Niederlassung ist unter Heranziehung der Rspr zu Art 5 Nr 5 EuGVVO aF (jetzt: Art 7 Nr 5 Brüssel Ia-VO) als Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit zu verstehen, der auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsgeschäft mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist (EuGH RIW 79, 56, 58; BeckOK/Spickhoff Art 23 Rz 3).
Rn 3
Der gewöhnliche Aufenthalt natürlicher Personen wird in Art 23 II nur für den Sonderfall des Handelns in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit definiert. Dann ist der Ort der Hauptniederlassung ausschlaggebend; auf sonstige Niederlassungen kommt es – anders als nach Art 23 I und abw von Art 19 I ROM I – nicht an. IÜ ist gewöhnlicher Aufenthalt einer natürlichen Person ihr tatsächlicher Lebensmittelpunkt, für dessen Ermittlung die soziale Integration auch iRd autonomen Auslegung eine wichtige Rolle spielen dürfte (s nur Heiss/Loacker JBl 07, 613, 626; BeckOK/Spickhoff Art 23 Rz 4). Offen ist bislang zB, ob eine natürliche Person einen doppelten gewöhnlichen Aufenthalt haben kann (bejahend für die ROM II-VO BeckOGK/Rass-Masson Art 23 Rz 36) oder wie der gewöhnliche Aufenthalt von nicht geschäftsfähigen Personen, Minderjährigen oder geistig Behinderten zu bestimmen ist (dazu Sonnenberger FS Kropholler 227, 237).