Gesetzestext
(1) Die Anfechtung einer nach § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen.
(2) 1Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. 2Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung.
(3) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.
A. Normzweck.
Rn 1
Im Interesse des Verkehrsschutzes wird die Anfechtbarkeit nach § 123 durch Ausschlussfristen begrenzt. Da der Getäuschte und der Bedrohte stärkeren Schutz als der Irrende verdienen, sieht § 124 längere Anfechtungsfristen als § 121 vor. Beim Vorliegen besonderer Umstände kann aber das Anfechtungsrecht bereits zuvor verwirkt sein (BGH NJW 71, 1800).
B. Anwendungsbereich.
Rn 2
Die Ausschlussfristen bestehen für die Anfechtungsrechte aus § 123, und zwar auch, wenn ein Dritter Anfechtungsgegner ist (Motive I, 209; aA Flume AT II, 531f). Sonderregeln enthalten die §§ 318 II, 2082. Die Fristen des § 124 gelten auch im Arbeitsrecht (BAG ZIP 84, 212; NZA 98, 375), § 626 II ist insoweit unanwendbar. Zuvor ist das Anfechtungsrecht ausgeschlossen, wenn der Anfechtungsgrund seine Bedeutung für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verloren hat (BAG NZA 88, 731 [BAG 18.09.1987 - 7 AZR 507/86]). Im Versicherungsrecht kann ein von § 124 unberührtes Leistungsverweigerungsrecht nur dort bestehen, wo die §§ 16 ff VVG aF entspr §§ 199 ff VVG nicht eingreifen (BGH NJW 84, 2815 [BGH 22.02.1984 - IVa ZR 63/82]).
C. Ausschlussfrist, § 124 I.
I. Allgemeines.
Rn 3
Die Anfechtung nach § 123 muss gem § 124 I binneneiner Jahresfrist erfolgen, die nach §§ 197 I, 188 II zu berechnen ist, Verwirkung nur bei ganz besonderen Umständen (BAG NZA 08, 348 [BAG 28.11.2007 - 6 AZR 1108/06] Tz 45). Die Anfechtungserklärung muss vor Fristablauf zugegangen sein (s.a. AG Kassel ZWE 17, 359).
II. Beginn.
1. Empfangsbedürftige Willenserklärungen.
Rn 4
Bei arglistiger Täuschung beginnt die Frist, sobald der Getäuschte die Täuschung gem § 124 II 1 Alt 1 entdeckt, also Kenntnis vom Irrtum und dem arglistigen Verhalten (RGZ 65, 89) erlangt hat (BGH WM 11, 2311 Tz 46). Fahrlässige Unkenntnis oder ein Verdacht genügen nicht (BGH WM 73, 751), doch müssen nicht alle Einzelheiten bekannt sein (RG JW 38, 2202). Bei einer widerrechtlichen Drohung beginnt die Frist mit dem Ende der Zwangslage, § 124 II 1 Alt 2, also mit Eintritt des Übels oder wenn mit dem Eintritt des Übels auch durch Dritthandlung nicht mehr zu rechnen ist (RGZ 60, 374; 90, 374).
2. Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen.
Rn 5
Der Fristbeginn ist hier gesetzlich nicht geregelt (Motive I, 209). Anfechtbarkeit und Anfechtungsgegner müssen bekannt sein (AnwK/Feuerborn § 124 Rz 7).
III. Hemmung.
Rn 6
Die Ausschlussfrist des § 124 I ist aufgrund der nach § 124 II 2 entspr anzuwendenden §§ 206, 210, 211 bei höherer Gewalt, fehlender Geschäftsfähigkeit oder im Erbfall gehemmt.
D. Ausschlussfrist, § 124 III.
Rn 7
Spätestens mit Ablauf von zehn Jahren nach Abgabe – nicht Zugang – der Willenserklärung erlischt das Anfechtungsrecht. Die Frist wird durch § 21 III VVG nicht verdrängt (BGH NJW 16, 394 [BGH 25.11.2015 - IV ZR 277/14]). Sie kann weder unterbrochen noch gehemmt werden.
E. Folgen.
Rn 8
Mit Fristablauf ist das Anfechtungsrecht ausgeschlossen. Im Prozess ist dies vAw zu berücksichtigen. Nur unter ganz besonderen Umständen kann es auf der Basis von § 242 nach Fristablauf geltend gemacht werden (BGH NJW 69, 604). Schadensersatzansprüche aus § 311 II, III, die auf Vertragsaufhebung gerichtet sein können, bleiben bestehen (BGH NJW 97, 254 [BGH 24.10.1996 - IX ZR 4/96]; NJW-RR 02, 309 [BGH 18.09.2001 - X ZR 107/00]; str, vgl § 123 Rn 44), ebenso die aus unerlaubter Handlung, die als Einrede nach § 853 geltend gemacht werden können (BGH NJW 69, 605 [BGH 09.01.1969 - VII ZR 185/66]).
F. Beweislast.
Rn 9
Wer sich auf den Fristablauf beruft, trägt die Beweislast, idR also der Anfechtungsgegner (Nürnbg VersR 01, 1368). Er muss auch die für die Kenntnis der arglistigen Täuschung maßgebenden Umstände beweisen (BGH NJW 92, 2347f [BGH 11.03.1992 - VIII ZR 291/90]).