Rn 11
Ein Brief geht durch Einwurf in den Briefkasten des Empfängers am selben Tag zu, wenn gem der Verkehrsanschauung nach diesem Zeitpunkt noch mit einer Leerung gerechnet werden kann (BGH NJW 19, 1151 [BGH 14.02.2019 - IX ZR 181/17] Tz 11; NJW 04, 1320, 10 [BGH 21.01.2004 - XII ZR 214/00] Uhr). Nach der jüngsten Rechtsprechung des BAG soll die Verkehrsanschauung durch die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten geprägt sein, selbst wenn diese variieren. Durch eine derart differenzierte Beurteilung ist indessen die erforderliche Rechtssicherheit nicht mehr gewährleistet. Eine gewandelte Verkehrsanschauung kann jedoch anzunehmen sein, wenn aufgrund veränderter Lebensumstände der Hausbriefkasten später geleert wird (BAG NJW 19, 3666 Tz 15f). Allgemeingültige starre Termine entsprechen dieser Judikatur nicht, so etwa, wenn beim Einwurf um 14 Uhr ein Zugang am gleichen Tag erfolgen (LG Stuttg BB 02, 380 [LG Stuttgart 20.12.2001 - 20 O 467/01]) und eine später als 16 Uhr eingeworfene Erklärung am folgenden Werktag zugehen soll (LG Köln NZA-RR 11, 180, 181 [LAG Köln 17.09.2010 - 4 Sa 721/10]; bei Einwurf um 16.30 Uhr, BAG NJW 84, 1651 [BAG 08.12.1983 - 2 AZR 337/82]; BAG NZA 15, 1183 [BAG 26.03.2015 - 2 AZR 483/14] Tz 37, Nachmittag; anders Silvester, BGH MDR 08, 439). Regelmäßig wird von einer Üblichkeit der Leerung um 16:00 Uhr ausgegangen werden können, es sei denn, es bestehen daran ernsthafte Zweifel (vgl BGHZ 209, 302 Tz 19). Hat der regional wichtigste Zustelldienst ausgeliefert und der Empfänger anschließend den Briefkasten geleert, geht ein später eingeworfener Brief erst am folgenden Tag zu. Nach aA genügt ein Einwurf bis 18 Uhr (Grüneberg/Ellenberger § 130 Rz 6; BayVerfGH NJW 93, 518, nur aufgrund des Einzelfalls), doch ist dann die Leerung nicht mehr üblich. Ein Zugang bis 23:59 Uhr (so aber Bachmann FS Singer, 45, 55) greift in die angemessene Risikoverteilung ein. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Willenserklärung in einer Frist zugehen soll (BAG NJW 19, 3666 [BAG 22.08.2019 - 2 AZR 111/19] Tz 26; aA Staud/Singer/Benedict § 130 Tz 76, Mitternacht).
Rn 12
Mittels Postfachs geht ein Brief zu, wenn und sobald nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit einer Entnahme zu rechnen ist (BGH LM § 130 BGB Nr 2; NJW 03, 3271 [BGH 17.01.2003 - V ZR 235/02]). Mit der Einlegung in ein Postfach ist daher nicht notwendig ein Zugang verbunden (Stuttg NJW 12, 2360, 2361). Eine einmalige Postfachleerung zu Beginn der Geschäftszeit ist nicht typisch. Dies gilt auch bei der Nutzung eines Abholservices (Stuttg NJW 12, 2360, 2361 [OLG Stuttgart 06.03.2012 - 10 U 102/11]), weswegen eine Leerung um 8 Uhr verfrüht ist (Celle NJW 1974, 1386 [OLG Celle 09.04.1974 - 11 U 156/73]). Wird der Brief in ein falsches Fach einsortiert, erfolgt kein Zugang (Kiel OLGZ 35, 310). Ein Anwalt soll sein Postfach am Sonnabend zu leeren haben (BFH NJW 00, 1743 [BFH 09.12.1999 - III R 37/97]). Hat der Empfänger einen Nachsendeantrag gestellt, erfolgt ein Zugang erst mit Zustellung am Aufenthaltsort (Erman/Arnold § 130 Rz 12).
Rn 13
Ein Einwurfeinschreiben geht nach den gleichen Grundsätzen wie ein einfacher Brief zu, doch besteht eine Möglichkeit der Zugangskontrolle (BGH NJW 17, 68 [BGH 27.09.2016 - II ZR 299/15] Tz 26; zu den Beweisfragen Rn 31). Es erfüllt die Anforderungen aus § 21 I 2 GmbHG (BGH NJW 17, 68 Tz 11). Kann ein Übergabeeinschreiben wegen Abwesenheit des Empfängers nicht ausgehändigt werden, begründet der Benachrichtigungsschein keinen Zugang (BGHZ 67, 275; 137, 205, 208; BGH NJW 17, 68 Tz 23; BGH NJW 98, 977; BAG NJW 97, 147). Der Einschreibebrief geht erst zu, wenn ihn der Empfänger abholt. Wird der Brief nicht abgeholt, geht er als unzustellbar an den Absender zurück. Ein Zugang ist nicht erfolgt. Es kommt nur eine Zugangsstörung in Betracht (Rn 26 ff). Entspr gilt bei einem Übergabeeinschreiben mit Rückschein (Brandbg NJW 05, 1586 [OLG Brandenburg 03.11.2004 - 9 UF 177/04]).
Rn 14
Ein Telegramm geht mit Aushändigung zu, bei einer vorherigen telefonischen Durchsage aber schon damit (RGZ 105, 256). Eine per Fax übermittelte Erklärung ist – jedenfalls bei prozessualen Erklärungen – zugegangen, sobald die gesendeten Signale vom Empfangsgerät vollständig gespeichert wurden (BGHZ 167, 214 Tz 15 ff; BGH NJW 07, 2045 Tz 12; gegen BGH NJW 04, 1320; zum Störungsrisiko, BGH NJW 95, 667 [BGH 07.12.1994 - VIII ZR 153/93]). E-Mail, SMS und andere Erklärungen mittels Telekommunikationstechniken gehen zu, sobald sie in einer Mailbox gespeichert sind und mit einer Abfrage zu rechnen ist (LG Hamburg MMR 10, 654 [LG Hamburg 07.07.2009 - 312 O 142/09]). Nach der Judikatur des BGH ist eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr, wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, dem Empfänger grds in diesem Zeitpunkt zugegangen (BGH NJW 22, 3791 [BGH 06.10.2022 - VII ZR 895/21] Rz 19). Dies gilt auch, wenn die Erklärung in einer externen Mailbox auf dem Server des...