Rn 26
Die arglistige Täuschung ist der in der Praxis häufigste Aufhebungsgrund. Er liegt vor, wenn der täuschende Verlobte durch bewusste Vorspiegelung falscher oder Unterdrückung wahrer Tatsachen, die für den anderen erkennbar von Bedeutung sind, den anderen zur Eheschließung veranlasst hat. Subjektive Empfindungen eines Ehegatten sind idR nicht objektivierbar und daher kein Gegenstand einer Täuschungshandlung (Frankf v 24.8.23 – 20 W 107/22 Rz 23). Der Antragsteller trägt die Darlegungs- und Beweislast für die den Aufhebungsgrund begründenden Tatsachen, sodass widersprüchliches oder nicht weiter aufklärbares Vorbringen zu seinen Lasten geht (Karlsr FamRZ 23, 373 [auch zur sek Darlegungslast]). Maßgeblich ist, dass der täuschende Verlobte davon ausging, der andere Verlobte werde bei Kenntnis aller Tatsachen die Ehe nicht schließen. Daher müssen objektive Umstände und subjektive Einschätzung gegeben sein. Das ›Wesen der Ehe‹ bildet ein Korrektiv, sodass nicht jede Enttäuschung über den Partner eine rechtlich erhebliche Täuschung darstellt (Kobl FamRZ 23, 105), vielmehr muss es sich um einen grundlegenden Aspekt für die eheliche Gemeinschaft und das Familienleben handeln. Sowohl die Täuschung über Vermögensverhältnisse als auch die Täuschung durch einen Dritten (zB Heiratsvermittler) nimmt das Gesetz als Aufhebungsgründe aus (II Nr 3 – 2. Hs), sofern dieser nicht mit dem anderen Verlobten kollusiv zusammengewirkt hat.
Rn 26a
Die Täuschung muss für die Eheschließung ursächlich, zumindest mitbestimmend, in der Weise gewesen sein, dass der andere Ehegatte bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Wesens der Ehe diese nicht eingegangen wäre (Ddorf FamRZ 15, 1289 [verneint bei Täuschung über Religionszugehörigkeit]; München FamRZ 08, 1536). Die Täuschung ist nicht kausal, wenn der andere Verlobte die Ehe in jedem Fall geschlossen hätte (LG Rostock FamRZ 03, 598).
Rn 26b
Die vorsätzliche Täuschungshandlung kann in einem aktiven Tun oder im Unterlassen bestehen. Letzterenfalls muss eine Offenbarungspflicht bestehen, sodass bloßes Verschweigen nicht ausreichend ist. Eine Offenbarungspflicht besteht, wenn der andere Verlobte ausdrücklich nachfragt oder ein bestimmter Umstand erkennbar für den anderen für seinen Entschluss zur Eheschließung von Bedeutung ist. Für die rechtliche Beurteilung ist auch maßgeblich, ob es sich um einen in der Vergangenheit liegende abschließende oder um einen in die Ehe fortwirkenden Umstand handelt (Brandbg FamRZ 22, 514; Kobl FamRZ 16, 1854). Eine Offenbarungspflicht über die intime Beziehung zu anderen Männern in der Empfängniszeit besteht, wenn die Motivation zur Eheschließung aus der Schwangerschaft folgt (Karlsr FamRZ 00, 1366). Ist die Vaterschaft nach den Umständen jedoch sehr zweifelhaft, sind solche Beziehungen nur auf Nachfrage mitzuteilen (Stuttg FamRZ 05, 2070). In welchem Umfang eine Offenbarungspflicht der Ehefrau besteht, ist nach der Entscheidung des BVerfG (FamRZ 15, 729) zum Schutz ihrer Privat- und Intimsphäre noch nicht abschließend geklärt, auch wenn danach unter den Voraussetzungen des § 826 eine Offenbarungspflicht bejaht wurde.
Rn 27
Beispiele:
Täuschung über frühere Ehen (verneinend wegen Nachfragemöglichkeit: Kobl FamRZ 16, 1854), erhebliche Vorstrafen (AG Tempelhof-Kreuzberg FamRZ 18, 1151; Kobl FamRZ 23, 105), Vorhandensein von (minderjährigen) Kindern (Karlsr FamRZ 23, 1272), Schwangerschaft von einem Dritten (vgl § 1599), nachhaltige Ausübung der Prostitution (Brandbg FamRZ 06, 1376); fehlende Bereitschaft, die Ehe zu vollziehen (Zweibr FamRZ 06, 1201); Unfähigkeit zum Geschlechtsverkehr, aber auch Sterilität (Stuttg FamRZ 05, 33), gleichgeschlechtliche Veranlagung, erhebliche Krankheiten (München FamRZ 08, 1536) wie Multiple Sklerose, Parkinson, AIDS, TB, nicht jedoch bei gelegentlichem Drogenkonsum (Brandbg FamRZ 22, 514), eigene berufliche Stellung (Kobl FamRZ 23, 105 Tätigkeit als Architektin nach Studium), keine Offenbarung eines außerehelich gezeugten Kindes (Karlsr FamRZ 11, 564); nicht bei einer Täuschung über den früher angeblich ausgeübten Beruf (Kobl FamRZ 2023, 105).
Rn 28
Die bloße Behauptung, der Ehegatte habe subjektive Empfindungen nur vorgespiegelt (das Fehlen von Liebe und ehelicher Zuneigung) reicht zur schlüssigen Darlegung der Eheaufhebungstatsachen nicht aus (Hamm FamRZ 04, 545, LS), wenn nicht zugleich Tatsachen vorgetragen werden, aus welchen der die Aufhebung begehrende Ehegatte vernünftigerweise auf das tatsächliche Vorliegen dieser subjektiven Empfindungen schließen durfte (Kobl FamRZ 16, 1854; Zweibr FamRZ 02, 1560).
Rn 29
Die Aufhebungsmöglichkeit entfällt, wenn der getäuschte Verlobte nach Entdeckung der Täuschung (§ 1315 I Nr 4) zu erkennen gibt, die Ehe fortsetzen zu wollen (Köln FamRZ 03, 375 [ehelicher Verkehr]). Antragsberechtigt ist nur der getäuschte Ehegatte binnen Jahresfrist (§§ 1316 I Nr 2, 1317 I).