Rn 12
Da der hypothetische Parteiwille aufgrund der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu ermitteln ist, dürfen die Fallbeispiele nicht ungeprüft verallgemeinert werden. Die Abtretung einer Forderung kann in eine Einziehungsermächtigung (BGHZ 68, 125; NJW 87, 3122; 07, 1957 Tz 34), die Abtretung eines Herausgabeanspruchs in die Abtretung eines Bereicherungsanspruchs (Hamm MDR 62, 985) und die Abtretung des Nießbrauchanspruchs in die Überlassung der Nießbrauchsausübung umgedeutet werden (RG JW 10, 802). Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist in eine wegen Irrtums (BGHZ 72, 253f), eine Anfechtung in eine Kündigung oder einen Rücktritt (BGH NJW 75, 1701; 06, 2839 Tz 27), nicht aber eine ordentliche Kündigung in eine Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung umdeutbar (BAG NJW 76, 592 [BAG 14.10.1975 - 2 AZR 365/74]).
Rn 13
Arbeitsvertrag, Dienstvertrag: Eine außerordentliche (zumeist fristlose) Kündigung ist in eine ordentliche (fristgemäße) Kündigung umzudeuten, falls ein Beendigungswille besteht (BGH NJW 98, 76; BAG NJW 88, 581 [BAG 13.08.1987 - 2 AZR 599/86]; 02, 2973 [BAG 15.11.2001 - 2 AZR 310/00]), doch müssen deren Wirksamkeitserfordernisse, wie die Betriebsratsanhörung gem § 102 I BetrVG, erfüllt sein. Umgedeutet werden kann auch eine nichtige ordentliche Kündigung mit zu kurzer Frist (BAG NJW 10, 3740 [BAG 01.09.2010 - 5 AZR 700/09] Tz 29). Eine Kündigung kann auch als Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags (BAG DB 72, 1784) und ein Angebot des Betriebsübernehmers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags als Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags gemeint sein (BAG DB 77, 1193 [BAG 14.02.1977 - 5 AZR 171/76]).
Rn 14
Erbrecht: Der erkennbare Erblasserwille begrenzt die Umdeutung. Ein unwirksames gemeinschaftliches Testament ist unter der Voraussetzung des § 2247 in Einzeltestamente umdeutbar (offengelassen in KG NJW 69, 798 [KG Berlin 05.12.1968 - 1 W 4146/68]; zur Umdeutung unwirksamer Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten Kollmeyer NJW 18, 662). Ein nichtiger Erbvertrag kann in ein einfaches oder gemeinschaftliches Testament (BayObLG NJW-RR 93, 332; 96, 7 [BayObLG 17.02.1995 - 1 Z BR 3/95]) oder einen schenkweisen Erlass umgedeutet werden (BGH NJW 78, 423 [BGH 30.11.1977 - IV ZR 165/76]). Ein formnichtiger Erbschaftskauf kann in einen Erbauseinandersetzungsvertrag (RGZ 129, 123) oder in die Abtretung eines künftigen Auseinandersetzungsanspruchs (RGZ 137, 176) umgedeutet werden. Es ist auch möglich, einen Übertragungsvertrag in einen Erbvertrag (BGHZ 40, 223; s.a. NJW 94, 1787) bzw die Übertragung eines Erbteils in einen Erbverzicht (BGH NJW 74, 44) umzudeuten. Die nichtige Verpflichtung, das Testament nicht zu ändern, kann in einen Erbvertrag umgedeutet werden (Stuttg NJW 89, 2701 [OLG Nürnberg 24.05.1989 - 4 U 77/89]).
Rn 15
Gesellschaftsrecht: Die unwirksame außerordentliche Kündigung des Geschäftsführers kann als ordentliche Kündigung gewollt sein (BGH NJW 98, 76; s.a. Rn 13). Ein OHG-Vertrag kann in den Vertrag einer BGB-Gesellschaft umgedeutet werden (BGHZ 19, 275), nicht aber umgekehrt (Staud/Roth Rz 57). Eine Stimmrechtsabtretung ist in eine Stimmrechtsvollmacht umdeutungsfähig (Hambg NJW 89, 1866f). Eine Stimmrechtsvereinbarung kann in einen Stimmrechtsausschluss verbunden mit einer Stimmrechtserhöhung umgedeutet werden (BGHZ 20, 371).
Rn 16
Grundstücksrechte: Ein Grundstücksveräußerungsvertrag kann in einen Vertrag über eine Nießbrauchbestellung umgedeutet werden (RGZ 110, 392) und ein dingliches Vor- oder Wiederkaufsrecht in eine schuldrechtliche Verpflichtung (RGZ 104, 124; BGH WM 65, 206). Die unwirksame Übertragung von Alleineigentum durch einen Miteigentümer ist in die Übertragung des Miteigentumsanteils (Völzmann Rpfleger 05, 66, zu Mobiliarsachenrechten; aA Grüneberg/Herrler § 1008 Rz 4) und die Übertragung von Wohnungseigentum in ein Dauerwohnrecht (BGH NJW 63, 339 [BGH 28.11.1962 - V ZR 127/61]) umdeutungsfähig. Die Umwandelung von Gemeinschaftseigentum in Sondereigentum kann als Begründung von Sondernutzungsrechten gewollt werden (Ddorf NJW-RR 96, 210 [OLG Düsseldorf 12.07.1995 - 3 Wx 181/95]). Zum Grundbuchverfahren Rn 5.
Rn 17
Mietrecht: Eine unzulässige Vereinbarung über Betriebskostenvorauszahlungen kann in eine zulässige Abrede über eine Betriebskostenpauschale umgedeutet werden (BGH NJW 11, 1222 [BGH 09.03.2011 - VIII ZR 132/10] Tz 17). Eine fristlose Kündigung kann zwar nicht in jedem Fall in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung nicht vorliegen. Eine Umdeutung ist aber zulässig und angebracht, wenn – für den Kündigungsgegner erkennbar – nach dem Willen des Kündigenden das Vertragsverhältnis in jedem Fall zum nächstmöglichen Termin beendet werden soll (BGH NJW 81, 977 [BGH 12.01.1981 - VIII ZR 332/79]; NJW-RR 18, 1101 [BGH 11.04.2018 - XII ZR 43/17] Tz 27), nicht aber in ein Angebot auf Vertragsaufhebung (BGH NJW 81, 44 [BGH 24.09.1980 - VIII ZR 299/79]). Eine ordentliche...