Gesetzestext
(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.
(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.
A. Normzweck.
Rn 1
Ein anfechtbares, aber nicht angefochtenes Rechtsgeschäft ist uneingeschränkt gültig (BGH NJW-RR 87, 1456 [BGH 01.07.1987 - VIII ZR 331/86]; Flume 557; aA Enneccerus/Nipperdey AT, 1213). § 142 I regelt die Wirkung der Anfechtung auf das Rechtsgeschäft in Form einer Fiktion. § 142 bewirkt va (vgl Rn 6) einen Gutglaubensschutz bei einem Dritterwerb (AnwK/Feuerborn § 142 Rz 1).
B. Anwendungsbereich.
Rn 2
Angefochten wird die fehlerhafte Willenserklärung, zulässig auch bei einem nichtigen Rechtsgeschäft (zuletzt zur Lehre von den Doppelwirkungen Schreiber AcP 11, 35, 41). Auch bei einem Vertragsschluss wird nicht der Vertrag, sondern die auf seinen Abschluss gerichtete Erklärung angefochten (Bork AT Rz 915). Gestaltungsrechte, wie der Widerspruch nach § 613a IV (BAG ZIP 07, 1618, Tz 20), können angefochten werden. Eine Verfügung ist anfechtbar, ebenso eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung (Staud/Roth § 142 Rz 16). Hauptanwendungsfälle sind die Anfechtungsgründe aus den §§ 119, 120, 123, 1956, 2078 f, 2281 ff, 2308. Unanwendbar ist § 142 auf die Anfechtungen nach §§ 1599 ff, 2340 ff. Spezielle Regelungen gelten für Willensmängel bei der Eheschließung, §§ 1313 ff und bei der Annahme als Kind, §§ 1759 ff. § 142 gilt auch nicht für die Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff InsO, sowie die Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens nach §§ 1 ff AnfG. Prozesshandlungen sind nicht anfechtbar (BGHZ 80, 392). Prozessverträge sind anfechtbar, soweit nicht eine irreversibele prozessuale Lage entstanden ist (MüKoZPO/Rauscher Einl Rz 468). Ein Prozessvergleich ist anfechtbar, auch bei einer Drohung durch das Gericht (BGH JZ 66, 753 [BGH 06.07.1966 - Ib ZR 83/64]). Auf öffentlich-rechtliche Verträge ist § 142 entspr anwendbar.
C. Wirkung der Anfechtung, § 142 I.
I. Grundsätze.
Rn 3
Das angefochtene Geschäft ist gem § 142 als von Anfang an nichtig anzusehen (BGH NJW 10, 289 [BGH 28.10.2009 - IV ZR 140/08] Tz 16). Die Anfechtung vernichtet das Geschäft rückwirkend. Diese Wirkung ist nicht durch Widerruf oder Rücknahme der Anfechtung zu beseitigen (RGZ 74, 3; aA AnwK/Feuerborn § 142 Rz 15). Aufgrund dieser Rückwirkung schließt sie andere, parallel aus dem Geschäft geltend gemacht Rechte aus, etwa aus Gewährleistungsrechten (Höpfner NJW 04, 2865; aA Derleder NJW 04, 970). Dies gilt nicht, wenn die Anfechtung hilfsweise geltend gemacht wird (Honsell JuS 82, 811). Die Anfechtung wirkt absolut. Ein aus einem akzessorischen Geschäft mithaftender Dritter (Bürge, Pfandschuldner) kann nicht mehr in Anspruch genommen werden (BaRoth/Wendtland § 142 Rz 6). Vor der Anfechtung besteht für diesen Dritten ein Leistungsverweigerungsrecht, §§ 770 I, 1137 I 1, 1211 I 1.
Rn 4
Eine Anfechtung des Kausalgeschäfts lässt aufgrund des Abstraktionsprinzips idR die Wirksamkeit des Erfüllungsgeschäfts unberührt. Das Geleistete kann nach § 812 herausverlangt werden. Die Anfechtung eines Änderungsvertrags lässt den geänderten Vertrag bestehen (Saarbr NJW-RR 07, 1400 [OLG Saarbrücken 16.05.2007 - 5 U 590/06]). Zur Kenntnis der Anfechtbarkeit Rn 6. Bei Anfechtbarkeit des Erfüllungsgeschäfts bestehen die Ansprüche aus §§ 985, 894. Ausnahmsweise kann aber eine Fehleridentität vorliegen, bei der die Anfechtung beide Geschäfte erfasst (§ 123 Rn 41), oder eine Geschäftseinheit bestehen.
II. Ausnahmen.
Rn 5
Abw von der gesetzlichen Regelung des § 142 I ist weithin anerkannt, dass ein in Vollzug gesetztes Dauerschuldverhältnis nur mit Wirkung für die Zukunft anfechtbar ist (Erman/Arnold § 142 Rz 7). Dies gilt insb für die Anfechtung von Gesellschaftsverträgen (BGHZ 55, 8; NJW 73, 1604) und Arbeitsverträgen (BAG NJW 84, 446; Anfechtung einzelner Arbeitsbedingungen BAG NJW 70, 1941 [BAG 25.05.1970 - 3 AZR 384/69]); anders, wenn das Arbeitsverhältnis außer Funktion gesetzt ist oder aufgrund einer Erkrankung keine Arbeitsleistung erbracht wird (BAG NZA 99, 587f [BAG 11.03.1999 - 2 AZR 507/98]). Bei Geschäftsraummiete aber Wirkung ex tunc (BGH NZM 08, 886 [BGH 06.08.2008 - XII ZR 67/06] Tz 36).
D. Wirkung gem § 142 II.
Rn 6
Bei Anfechtung eines Verpflichtungsgeschäfts führt die Kenntnis der Anfechtbarkeit zur verschärften Haftung gem §§ 819 I, 142 II, 818 IV, bei Anfechtung einer Vollmacht zur Einstandspflicht nach §§ 179, 142 II. Da ein angefochtenes Verfügungsgeschäft rückwirkend nichtig wird, handelt im Fall einer Weiterveräußerung der Veräußerer als Nichtberechtigter. § 142 II schützt dann den guten Glauben an das Fehlen der Anfechtbarkeit (BGH NJW-RR 87, 1457 [BGH 01.07.1987 - VIII ZR 331/86]). Der Schutz wirkt nur, wenn und soweit ein Gutglaubenserwerb möglich ist. Er besteht nicht beim Forderungs- und Rechtserwerb, §§ 398, 413. Nach dem Maßstab der §§ 932 ff, 1032, 1207, 1244 führt bei beweglichen Sachen Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis zur Bösgläubigkeit, während nach den §§ 892 ...