Rn 67
Nach dem Abstraktionsprinzip (s Rn 49) berührt pflichtwidriges Handeln im Innenverhältnis die Wirksamkeit des Vertretergeschäfts im Außenverhältnis nicht, solange sich der Vertreter nur innerhalb der ihm erteilten Vertretungsmacht bewegt (Bork Rz 1573). Das Risiko, dass der Vertreter unbefugt von seiner Vertretungsmacht Gebrauch macht, trägt grds der Vertretene (BGH NZI 21, 197 Rz 9; NJW 20, 2287 Rz 9; 17, 3373 Rz 20). Etwas anderes gilt erst dann, wenn die Grenzen des rechtlich Tragbaren überschritten werden und der Vertragspartner nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht nicht schutzwürdig ist (BGH NZI 21, 197 Rz 9; WM 20, 2287 Rz 9). Die Anwendung dieser Grundsätze setzt zunächst die Feststellung voraus setzt, dass das Handeln des Vertreters von seinen Befugnissen im Innenverhältnis abweicht (BGH WM 08, 1703 Rz 13; 69 Rz 68f). Daran fehlt es, wenn das Handeln des Vertreters von dem Vertretenen ausdrücklich gewünscht war (BGH BKR 16, 375 [BGH 14.06.2016 - XI ZR 483/14] Rz 29, 383 Rz 27).
a) Anwendungsbereich.
Rn 68
Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten nicht nur bei der Bevollmächtigung, sondern auch bei der gesetzlichen und der organschaftlichen Stellvertretung (Soergel/Leptien § 177 Rz 20) sowie analog für die Verwaltung fremden Vermögens (s Rn 15), nicht aber für die Treuhand (s Rn 11). Sie sind zudem anzuwenden, wenn zur Ausführung eines Geschäfts ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist (BGH NJW 88, 2241, 2243 [BGH 14.03.1988 - II ZR 211/87]) und werden auch im Zivilprozess herangezogen (BGH MDR 62, 374, 375; Stadler FS Henssler 23, S 1777 ff).
b) Kollusion.
Rn 69
Einen besonders schweren Fall des Vertretungsmachtsmissbrauchs stellt die Kollusion dar, bei der der Vertreter arglistig mit dem Geschäftsgegner zusammenwirkt (BGH WM 20, 2287 Rz 9; NJW-RR 08, 877 Rz 10; Hamm ZInsO 23, 1326), um sich etwa hinter dem Rücken des Vertretenen und zu dessen Schaden einen Vorteil zu verschaffen (BGH WM 08, 1703 Rz 13). Sie führt dazu, dass das Vertretergeschäft gegen die guten Sitten verstößt und daher nichtig gem § 138 ist (BGH NJW 17, 3373 Rz 20; Hamm ZInsO 23, 1326). Ein Teil der Lehre will dagegen die §§ 177 ff analog anwenden, um dem Vertretenen die Möglichkeit einzuräumen, das Vertretergeschäft zu genehmigen (Bork Rz 1575 ff). Für diese Ansicht spricht, dass in Fällen, in denen die Rechtsordnung nur die Art des Zustandekommens und nicht den Inhalt des Rechtsgeschäfts missbilligt, die Nichtigkeitsfolge nicht zwingend ist (vgl § 123) und dass den Interessen des Vertretenen wie in den sonstigen Fällen des Vertretungsmachtmissbrauchs (Rn 72) besser gedient ist, wenn er das Rechtsgeschäft gem § 177 I genehmigen kann. Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch beim Insichgeschäft und bei Einschaltung eines arglosen Untervertreters (BGH WM 14, 628 Tz 10; s § 138 Rn 124). Allerdings setzt die Unwirksamkeit eines nach außen erlaubten Insichgeschäfts unter dem Gesichtspunkt des Vollmachtsmissbrauchs nach stRspr voraus, dass es für den Vertretenen nachteilig ist (BGH WM 20, 2287 Rz 10).
c) Evidenz des Missbrauchs.
aa) Voraussetzungen.
Rn 70
In der Rspr des BGH ist seit langem anerkannt, dass der Vertretene als besondere Ausgestaltung des § 242 bereits unterhalb der Schwelle der Kollusion geschützt ist, wenn der Vollmachtsmissbrauch (zu dem Begriff s Rn 67) dem Geschäftsgegner bekannt oder wegen Evidenz des Missbrauchs ohne weitere Nachforschungen hätte bekannt sein müssen (BGH NZI 21, 197 [BGH 29.10.2020 - IX ZR 212/19] Rz 9; vgl BGH NJW 90, 384, 385 [BGH 03.10.1989 - XI ZR 154/88]: grob fahrlässige Unkenntnis). Das ist der Fall, wenn der Vertreter unter Überschreitung der ihm im Innenverhältnis gesetzten Schranken von der Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch macht, sodass beim Vertragspartner begründete Zweifel entstehen mussten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters ggü dem Vertretenen vorliegt (BGH NJW 17, 3373 Rz 20). An die Evidenz des Missbrauchstatbestandes sind hohe Anforderungen zu stellen. Notwendig ist eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs (BGH NJW 11, 66 [BGH 01.06.2010 - XI ZR 389/09] Rz 29). Diese ist insbes dann gegeben, wenn sich nach den gegebenen Umständen dem Geschäftsgegner geradezu aufdrängen muss, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht missbraucht (BGH NJW 20, 2287 [BGH 27.02.2020 - 3 StR 327/19] Rz 20). Bloßes Kennenmüssen des Vertragspartners genügt nicht. Diesem obliegt grds keine allg Prüfungspflicht, ob und wieweit der Vertreter im Innenverhältnis gebunden ist, von einer nach außen unbeschränkten Vertretungsmacht nur begrenzt Gebrauch zu machen (BGH NJW 17, 3373 [BGH 11.05.2017 - IX ZR 238/15] Rz 20). Maßgeblich ist eine Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalles (MüKo/Schubert Rz 223).
Rn 71
Nach der Rspr des BGH kommt es – abgesehen von den Kollusionsfällen – grds nicht darauf an, dass das Geschäft nachteilig für den Vertretenen ist (BGH NZI 21, 197 Rz 10; WM 20, 2287 Rz 9; zust Erman/Meier-Reimer/Finkenauer § 167 Rz 75; unklar BGHZ 50, 1...