Rn 18
Es besteht kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinn, dass eine Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge bestehen und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht kommen sollte (BGH FamRZ 99, 1646, 1647; 05, 1167; 08, 592; BVerfG FamRZ 04, 354; Hamm FamRZ 99, 39; München FamRZ 08, 1774; Celle FamRZ 16, 385). Es ist vielmehr in erster Linie Sache der Eltern zu entscheiden, ob sie die gemeinsame Sorge nach ihrer Scheidung beibehalten wollen oder nicht. Es besteht weder ein Vorrang der gemeinsamen Sorge vor der Alleinsorge noch eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist. Einer solchen Regelung stünde bereits entgegen, dass sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lässt (BGH FamRZ 99, 1646, 1647; 08, 592, 593; KG FamRZ 11, 122, 123; Jena FamRZ 11, 1070; BTDrs 13/4899 63; J/H/A/Lack § 1671 Rz 34; Grüneberg/Götz § 1671 Rz 13; aA Haase/Kloster-Harz FamRZ 00, 1003, 1005; zum Streitstand vgl FAKomm-FamR/Ziegler § 1671 Rz 21 ff).
Rn 19
Mit der Ablehnung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses sollen die Vorteile der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht geleugnet werden. Grds ist sie die erstrebenswerteste Sorgeform (vgl auch Staud/Coester § 1671 Rz 115). Denn niemand wird ernsthaft bestreiten, dass es für die Entwicklung eines Kindes und damit für sein Wohl am besten ist, wenn die (erziehungsgeeigneten) Eltern glücklich zusammenleben (vgl auch BVerfG FamRZ 68, 578, 584; 81, 429). Dann ist es aber selbstverständlich, dass es nach der Trennung das Beste für das Kind ist, wenn die Eltern auf der Elternebene weiterhin einvernehmlich und harmonisch zusammenwirken (vgl auch J/H/A/Lack § 1671 Rz 34; München FamRZ 99, 1006, 1007). Jedoch bleibt dies in der Praxis oftmals Utopie. Der Streit auf der Paarebene erfasst regelmäßig auch die Elternebene und damit das Kind. Es wäre lebensfremd anzunehmen, das Kind bleibe von Streitigkeiten auf der Paarebene verschont (Oelkers MDR 00, 32, 33 [BGH 29.09.1999 - XII ZB 3/99]). Für dieses Problem kann aber nicht allein der Elternteil verantwortlich gemacht werden, der die gemeinsame Sorge ablehnt (vgl auch J/H/A/Lack § 1671 Rz 39; Staud/Coester § 1671 Rz 138). Vielmehr ist grds davon auszugehen, dass keinen Elternteil eine Schuld daran trifft, dass die Zerrüttung der Paarebene die Elternebene erfasst. Ist die Elternebene aber dergestalt gestört, dass ein oder beide Elternteile nicht mehr kooperieren wollen oder können, so ist unter diesen Umständen die Aufhebung der gemeinsamen Sorge regelmäßig das Beste für das Kind, weil es durch den Konflikt der Eltern belastet wird (BGH FamRZ 99, 1646, 1647; KG FamRZ 00, 502; Frankf FamRZ 08, 1470; vgl auch BTDrs 13/4899 63).