Rn 8
§ 1814 regelt die Voraussetzungen, unter denen einem Volljährigen ein Betreuer bestellt werden kann und bildet die materiell-rechtliche Grundlage für den konkreten Zuschnitt des Aufgabenkreises des Betreuers (§ 1815). §§ 1814, 1815 gelten nicht nur für die Bestellung des Betreuers, sondern auch, wenn die Betreuung verlängert (Zweibr BtPrax 02, 87) oder der Aufgabenkreis eines Betreuers nach § 1871 III erweitert werden soll (BayObLG FamRZ 98, 922); ferner ist sie bei der Bestellung eines vorläufigen Betreuers (BayObLG FamRZ 99, 1611) zu beachten. Ein späterer Wegfall der Voraussetzungen führt zur Aufhebung der Betreuung oder zur Einschränkung des Aufgabenkreises des Betreuers (§ 1871 I). Die Auswahl des Betreuers wird in den §§ 1816, 1818 geregelt. Eine Betreuerbestellung gegen den freien Willen des Betroffenen (II) ist nicht statthaft (BGH FamRZ 12, 869; 18, 134; 19, 239). Die Feststellungen zum Ausschluss freier Willensbildung müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (BGH FamRZ 16, 970; 18, 205; 23, 467). Die gleichen Voraussetzungen gelten auch für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung nach § 1815 III (BGH FamRZ 18, 848).
Rn 9
Grds kann ein Betreuer nur für einen Volljährigen bestellt werden (I). Für Minderjährige kommt nur die Bestellung eines Vormunds (§§ 1773 ff), eines Pflegers (§§ 1809 ff) oder eines Beistands (§§ 1712 ff) in Betracht. Nur ausnahmsweise kann die Betreuung auch für Minderjährige vorsorglich für den Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit angeordnet werden, wenn diese bereits das 17. Lebensjahr vollendet haben und zu erwarten ist, dass sie beim Eintritt der Volljährigkeit betreuungsbedürftig sind (§ 1814 V).
Rn 10
Weitere Voraussetzung ist die Betreuungsbedürftigkeit, dh, dass der Betroffene unter einer Krankheit oder einer Behinderung leiden muss und aus diesem Grunde seine Angelegenheiten ganz oder tw nicht besorgen kann (I 1), Der medizinische Befund ist grds durch ein Sachverständigengutachten festzustellen (§§ 280 ff FamFG, vgl Müther FamRZ 10, 857; BGH FamRZ 13, 287; zur Eignung des Sachverständigen vgl BGH FamRZ 13, 1800; 14, 113), wovon nur in Ausnahmefällen, zB ein schon vorhandenes Gutachten der Pflegeversicherung (vgl zu den weiteren Voraussetzungen Staud/Bienwald § 1896 aF Rz 42), Abstand genommen werden darf (BGH BtPrax 16, 148). Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstellung des Gutachtens persönlich zu untersuchen; eine Begutachtung nach Aktenlage ist grds nicht zulässig (BGH FamRZ 14, 1917; Köln FamRZ 06, 505; 09, 2116). Grds entbindet auch ein lege artis erstelltes Sachverständigengutachten, dass eine Aufrechterhaltung der Betreuung mit umfassendem Aufgabenkreis empfiehlt, das Gericht nicht von der Beachtung des Erforderlichkeitsgrundsatzes (München FamRZ 06, 575). Wird die Besorgung eigener Angelegenheiten und das Tätigwerden im Rechtsverkehr für den Betroffenen durch andere Benachteiligungen erschwert, wie zB soziale Probleme, schwierige familiäre oder wirtschaftliche Verhältnisse oder Sprachprobleme bei Ausländern, so genügt dies für die Anordnung der Betreuung nicht. Auch Alkoholsucht ohne Folgeerkrankungen ist für sich kein Grund für eine Betreuerbestellung (BGH FamRZ 11, 1725). Auch nicht jede Krankheit, die in den ICD-10-Normen aufgeführt ist und jedes von gesellschaftlichen Normen abweichende Verhalten kann als Krankheit oder als Behinderung iSd § § 1814 I gelten (BayObLG FamRZ 02, 494; AG Frankfurt FamRZ 16, 83).
Rn 11
Krankheiten sind zB körperlich nicht begründbare (endogene) Psychosen (zB Schizophrenien) oder körperlich begründbare (exogene) Psychosen, dh seelische Störungen als Folge von Hirnerkrankungen (zB Alzheimersche Krankheit, Arteriosklerose, Epilepsie, Hirntumore usw) oder Verletzungen des Hirns. Suchtkrankheiten, wie Alkohol-, Medikamente- und Drogenabhängigkeiten, soweit sie zu einer psychischen Erkrankung in Form von hirnorganischen Veränderungen oder psychischen Defekten geführt haben (BGH FamRZ 16, 1070; 18, 950; 18, 1691). Bei Neurosen und Psychopathien handelt es sich nur um eine betreuungsrechtlich relevante Krankheit, wenn schwerste Auffälligkeiten und Störungen vorliegen (Jürgens/Brosey § 1814 Rz 22). Zur Feststellung, ob bereits der Grad einer psychischen Erkrankung erreicht ist, ist in jedem Fall eine fachpsychiatrische Konkretisierung erforderlich (vgl zur Abgrenzung einer Paranoia von gesunder Hartnäckigkeit: BayObLG FamRZ 94, 720; die Feststellung lediglich von ›Altersstarrsinn‹ genügt nicht: BayObLG FamRZ 01, 1558). Behandlungsbereitschaft des Betroffenen ist grds nicht Voraussetzung für die Betreuerbestellung (BGH FamRZ 13, 618).
Rn 12
Seelische Behinderungen sind bleibende – jedenfalls lang andauernde – psychische Beeinträchtigungen aufgrund einer psychischen Krankheit (zB geistiger Altersabbau: BayObLG FamRZ 02, 494). Senile Verlangsamungen bei sonstiger Bewusstseinsklarheit genügen idR nicht (BayObLG FamRZ 01, 1244).
Rn 13
Geistige Behinderungen sind angeborene oder frühzeitig durch Erkrankung oder...