Gesetzestext
(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betreuten zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.
(2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betreuten zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten.
(4) Der Betreuer soll den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinweisen und ihn auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung unterstützen.
(5) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden. Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden.
(6) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.
A. Vorbemerkung.
Rn 1
Mit dem 3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts v 29.7.09, BGBl I 2286 ist das Rechtsinstitut der Patientenverfügung in das Bürgerliche Recht eingeführt worden. Damit wird das Recht eines entscheidungsfähigen Patienten anerkannt, sein Selbstbestimmungsrecht nicht nur aktuell, sondern auch durch eine in die Zukunft wirkende vorausschauende Verfügung auszuüben. Mit den Regelungen zur Patientenverfügung wird klargestellt, dass für die medizinische Behandlung eines Menschen, wie in jeder Lebensphase, auch am Lebensende gilt, dass der Patient entscheidet, ob er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen will (Brosey BtPrax 09, 175; Gaede NJW 10, 2925; Hoffmann R&P, Sonderdruck 10, 201; Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbehilfe v 21.1.11, DÄ Jg 108, H 7). Zu den strafrechtlichen Grenzen der Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung vgl BGH FamRZ 10, 1551. Der frühere § 1901a ist inhaltlich unverändert in das neue Betreuungsrecht übernommen worden (BTDrs 19/24445, 260).
B. Patientenverfügung.
Rn 2
Als Patientenverfügung (I) werden schriftliche Willensbekundungen eines einwilligungsfähigen Volljährigen mit Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe für den Fall der späteren Einwilligungsunfähigkeit bezeichnet (BTDrs 16/8442). Der in einer Patientenverfügung zum Ausdruck kommende Patientenwille ist bindend, wenn der Verfasser Festlegungen gerade für diejenige Lebens- u Behandlungssituation getroffen hat, die nun zu entscheiden ist (BGH FamRZ 16, 1671; 17, 748; 19, 236; 19, 307; 23, 1059), der Wille nicht auf ein Verhalten gerichtet ist, das einem Verbot unterliegt (etwa die aktive Sterbehilfe) oder zur einer Gefahr für Dritte führen würde (LG Osnabrück FamRZ 20, 1125), der Wille in der Behandlungssituation noch aktuell ist und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Patientenverfügung durch äußeren Druck oder aufgrund eines Irrtums zustande gekommen ist (BGH FamRZ 14, 1909; 17, 748; 19, 1810). Die erforderliche Konkretisierung einer Patientenverfügung kann sich im Einzelfall bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen auch durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituation ergeben (BGH FamRZ 17, 748; 19 236; 19, 307). Zu den haftungsrechtlichen Folgen lebenserhaltender Maßnahmen in einer Akutsituation trotz Vorliegens einer Patientenverfügung: KG FamRZ 23, 1064. Die Patientenverfügung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (I 1). Weitere formelle Voraussetzungen, wie etwa eine verbindliche ärztliche Beratung vor Abfassung der Patientenverfügung, die Angabe von Zeit u Ort der Abfassung oder eine regelmäßige Aktualisierung sieht § 1827 nicht vor (BTDrs 16/8442; 16/13314). Nach II 1 ist der Betreuer an Behandlungswünsche des Betreuten gebunden (BGH FamRZ 19, 236; 19, 307). Dies gilt auch für den mutmaßlichen Behandlungswillen in den Fällen, in denen ein konkreter situationsbezogener Patientenwille feststellbar ist (BGH FamRZ 17, 748), der etwa wegen fehlender Schriftform (I 1) keine unmittelbare Bindungswirkung g...