Gesetzestext
Bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers gegeben sind, und konnte ein Betreuer noch nicht bestellt werden oder ist der Betreuer an der Erfüllung seiner Pflichten gehindert, so hat das Betreuungsgericht die dringend erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Rn 1
§ 1867 entspricht weitgehend der Regelung des § 1846 aF und ist eine Ausnahme der Verteilung der Funktionen zwischen Betreuer und BtG. Die Norm soll die Schutzlücke schließen, die sich daraus ergeben kann, dass das BtG grds nur die Arbeit des Betreuers überwacht und durch Genehmigungen bzw deren Verweigerung unterstützt. § 1867 ermöglicht es dem Gericht, zur Verhinderung rechtlicher Nachteile für den Betreuten, zeitlich begrenzt und einzelfallbezogen, unaufschiebbare Maßnahmen selbst zu treffen, solange ein Betreuer noch nicht bestellt oder an der Erfüllung seiner Pflicht verhindert ist (BTDrs 19/24445, 306). Wegen ihres Ausnahmecharakters ist die Norm eng auszulegen (Frankf FamRZ 07, 673).
Rn 2
Voraussetzung für das selbstständige Eingreifen des Gerichts ist, dass es an einem Betreuer fehlt, sei es, weil er noch nicht bestellt ist oder der bereits bestellter Betreuer an der Erfüllung seiner Pflichten (im Ganzen oder nur in einzelnen Bereichen) verhindert ist. Ob die Verhinderung nur kurzfristig ist oder länger andauert, ist dabei unerheblich. Auch ob sie tatsächlicher (zB Krankheit) oder rechtlicher Natur (zB Interessenkollision) ist. Verhinderung bedeutet jedoch, dass der Betreuer die Angelegenheiten des Betreuten nicht besorgen kann. Weigert sich der Betreuer lediglich, iSd Gerichts zu handeln (Ddorf FamRZ 95, 637) oder liegt ein pflichtwidriges Versäumnis des einsatzfähigen Betreuers vor (MüKo/Schwab § 1846 aF Rz 3), genügt dies für ein Eingreifen des Gerichts gem § 1846 nicht. Dann ist aber zu prüfen, ob nicht der Betreuer zu entlassen und ein neuer, geeigneterer Betreuer zu bestellen ist. Es gilt gem § 26 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz (Ddorf FamRZ 10, 669).
Rn 3
Weitere Voraussetzung ist das Vorliegen eines dringenden Falls, dh, dass ein Aufschub der Maßnahme einen Nachteil für den Betreuten zur Folge haben würde (BGH FamRZ 02, 744, 746). Die bloße Möglichkeit einer Gefahr genügt nicht, sondern es müssen konkrete Anhaltspunkte gegeben sein. Ob eine derartige Situation gegeben ist, entscheidet das BtG nach pflichtgemäßem Ermessen.
Rn 4
Auch welche Maßregeln im Interesse des Betreuten erforderlich sind, liegt im Ermessen des Gerichts. Regelmäßig wird die Bestellung eines Verhinderungsbetreuers nach § 1817 IV genügen. Bei dringendem Handlungsbedarf kann und muss das BtG aber auch selbst handeln, um Gefährdungen von dem Betreuten abzuwenden, etwa durch AnO von Maßnahmen der Körperpflege (BayObLG NJW-RR 02, 1446); Anordnung der Wiederaufnahme der Ernährung durch Anlegen einer PEG-Sonde (Ddorf FamRZ 10, 669) oder die Einwilligung in eine dringende Operation oder Bluttransfusion (AG Nettetal FamRZ 96, 1104). Bei der Unterbringung eines Betreuten ist § 1831 zu beachten. Das Gericht kann selbst eine vorläufige Unterbringung gem § 1867 nur dann anordnen, wenn kein Betreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung bestellt oder dieser verhindert ist (BGH FamRZ 02, 744, 745) und der Unterbringungsantrag auch nach § 1831 genehmigungsfähig wäre (Zweibr BtPrax 03, 80). In jedem Fall muss das Gericht zunächst entspr Auskünfte einholen (Frankf FamRZ 07, 673) und bei AnO der Unterbringung sicherstellen, dass dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein Betreuer oder zumindest ein vorläufiger Betreuer zu Seite gestellt wird, sonst ist die AnO der Unterbringung unzulässig (BGH BtPrax 02, 162, 02, 744, BayObLG FamRZ 03, 1322; München FamRZ 08, 917). Treffen Maßregeln des Gerichts mit widersprechenden des Betreuers zusammen, so ist entscheidend, ob die Voraussetzungen des § 1867 vorlagen. Ist dies der Fall, so ist die Maßnahme des Betreuers wirkungslos.
Rn 5
Verfahren. Ist eine Betreuung noch nicht angeordnet oder sollen ärztliche Maßnahmen bzw eine Unterbringung angeordnet werden (§§ 1829, 1831), entscheidet über vorläufige Maßnahmen nach § 1867 der Richter (§ 15 I Nr. 1 u Nr 4) RPflG. In allen anderen Fällen ist der Rechtspfleger zuständig (§ 3 Nr 2a RPflG).