Prof. Dr. Martin Avenarius
Rn 2
Die Bezeichnung des Bedachten als ›Erben‹ oder der Zuwendung als ›Erbschaft‹ ist keine notwendige Voraussetzung für die Erbeinsetzung, § 2087 I. Umgekehrt führt die wörtliche oder bedeutungsgleiche Verwendung dieser Bezeichnung nicht notwendig zu einer Erbeinsetzung, § 2087 II (KG ErbR 18, 389). Gleiches gilt für die wörtliche oder bedeutungsgleiche Bezeichnung einer Zuwendung als ›Vermächtnis‹. Die Zuordnung zu der einen oder anderen Zuwendungsform erfordert vielmehr jeweils das Hinzukommen weiterer Gesichtspunkte.
I. Erbeinsetzung.
Rn 3
Der Erblasser kann die Absicht, einem Erben sein Vermögen oder einen Teil hiervon im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zuzuwenden, auf vielfältige Weise ausdrücken. Ob er in dieser Weise über sein Vermögen verfügen wollte, ist allein aus seiner Sicht zu beurteilen. Maßgeblich sind dabei die Vorstellungen des Erblassers bei Errichtung der Verfügung (Rostock ErbR 22, 607 [OLG Rostock 08.02.2022 - 3 W 143/20]). Daher wird eine Erbeinsetzung nicht durch einen nach der Errichtung eingetretenen Vermögenserwerb berührt (vgl aber § 2078: Motivirrtum).
Rn 4
Es ist also ein Vergleich der vom Erblasser verfolgten wirtschaftlichen Zwecke mit den Rechtswirkungen einer Erbeinsetzung und eines Vermächtnisses durchzuführen. Wollte der Erblasser sein Vermögen mehr oder weniger umfassend auf eine oder mehrere Personen übergehen lassen, die eine starke Stellung erhalten (BayObLG FamRZ 01, 1174), die Nachlassabwicklung übernehmen (BayObLGZ 86, 604) und wirtschaftlich an die Stelle des Erblassers treten sollen, also auch die Nachlassverbindlichkeiten tragen sollen (BayObLG FamRZ 86, 604), so spricht dies für eine Erbeinsetzung (BayObLGZ 65, 460). Ob dem Begünstigten nach Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten und Erfüllung der Vermächtnisse und Auflagen überhaupt ein wirtschaftlich nennenswerter Vermögensvorteil verbleibt, entscheidet nicht über seine Berufung zum Erben (BayObLG FamRZ 03, 119), doch dürfte, wenn ihm praktisch nichts verbleibt, eher keine Erbeinsetzung gewollt sein.
Rn 5
Auch eine Verfügung über einen einzelnen Vermögensgegenstand, der fast das gesamte Erblasservermögen im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung ausmacht, wird idR als Erbeinsetzung anzusehen sein (BGH ZEV 17, 629; Brandbg 24.1.23 – 3 W 113/22; BayObLG FamRZ 97, 1177: Immobilie, die den wesentlichen Nachlasswert bildet; LG Mönchengladbach 7.11.17 – 3 O 99/15: mindestens 90 %; vgl noch BayObLG FamRZ 98, 76; Saarbr NJW-RR 22, 1021; zu einem Gegenbeispiel BayObLG FamRZ 04, 567; für den Erwerb weiteren Vermögens nach Testamentserrichtung BGH ZEV 17, 629 m Anm Leipold). Die Erbeinsetzung bezieht sich dann freilich auf den Nachlass, nicht etwa auf den Einzelgegenstand (Staud/Avenarius § 2100 Rz 8; Hahn ZEV 16, 360). Schließlich wird man auch bei einer (nahezu) erschöpfenden Vermögensverteilung auf mehrere Erben nicht nach Bruchteilen, sondern nach einzelnen Vermögensgruppen (Köln ErbR 22, 1023) oder Gegenständen von einer Erbeinsetzung, ggf verbunden mit einer Teilungsanordnung (§ 2048) oder Vorausvermächtnissen (§ 2150) ausgehen können (BGHZ 120, 96; BayObLG FamRZ 04, 312; Ddorf ErbR 18, 509). Die Bruchteile bestimmen sich dann idR nach den Wertverhältnissen zur Zeit der Errichtung der Verfügung (BGH LM § 2084 Nr 12), wenn es dem Erblasser nicht gerade auf die Zuwendung der Gegenstände als solcher ankam (Ddorf NotBZ 13, 389).
Rn 6
Wird hingegen nicht das gesamte Vermögen nach Gegenständen oder Vermögensgruppen verteilt, kann nicht ohne Weiteres von einer erschöpfenden Einsetzung nach Bruchteilen ausgegangen werden. Es kommt auch eine Erbeinsetzung iSd § 2088 oder eine Kombination aus Erbeinsetzung/en und Vermächtnissen (BayObLG NJW-RR 95, 1096 [OLG Hamm 06.01.1995 - 12 UF 269/94]) in Betracht.
II. Vermächtnis.
Rn 7
Kam es dem Erblasser darauf an, dass der Bedachte einen bestimmten Gegenstand ungeschmälert durch etwaige Nachlassverbindlichkeiten erhält, so spricht dies für die Annahme eines Vermächtnisses (vgl § 2087 II). Das gilt allerdings nicht, wenn dieser Gegenstand fast den gesamten Nachlasswert ausmacht (Rn 5) oder es sich wenigstens um den Hauptnachlassgegenstand handelt und ansonsten kein Erbe berufen ist, weil idR davon auszugehen ist, dass der Erblasser zumindest einen Erben berufen möchte (BayObLG FamRZ 95, 246; NJW-RR 02, 873; 02, 1232). Wird nur eine Verfügung über einen geringerwertigen Nachlassteil getroffen, so wird man von einem Vermächtnis bei Geltung der gesetzlichen Erbfolge ausgehen können (BayObLG FamRZ 90, 1156; vgl Ddorf FGPrax 14, 163).
Rn 8
Von einem Vermächtnis ist auch bei der Aussetzung von festen Geldbeträgen auszugehen, soweit sie nicht im Wesentlichen den Nachlass ausmachen (BayObLG FamRZ 97, 1177; NJW-RR 02, 873). Darüber hinaus kann ein Vermächtnis sich auf jede beliebige Leistung, auf Sachgesamtheiten oder Werte richten. Soweit der Erblasser den Bedachten nicht als Erben einsetzen, ihm aber – anders als einem Auflagenbegünstigten – einen eigenen Anspruch einräumen wollte, liegt ein Vermächtnis vor.