Gesetzestext
1Hat der Erblasser angeordnet, dass der Erbe nur bis zu dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses Erbe sein soll, ohne zu bestimmen, wer alsdann die Erbschaft erhalten soll, so ist anzunehmen, dass als Nacherben diejenigen eingesetzt sind, welche die gesetzlichen Erben des Erblassers sein würden, wenn er zur Zeit des Eintritts des Zeitpunkts oder des Ereignisses gestorben wäre. 2Der Fiskus gehört nicht zu den gesetzlichen Erben im Sinne dieser Vorschrift.
A. Auslegungsregel.
Rn 1
Es handelt sich um eine Auslegungsregel (BGH NJW 86, 1812 [BGH 22.01.1986 - IVa ZR 90/84]) für den Fall der unvollständigen Verfügung des Erblassers, der den Nacherben nicht bestimmt hat. Die Regel beruht auf der Vermutung, dass die Einsetzung der fiktiven gesetzlichen Erben dem Willen des Erblassers entspricht.
B. Anwendungsbereich.
I. Gewollte Vor- und Nacherbschaft.
Rn 2
Es muss zunächst feststehen, dass sich aus der befristeten Berufung des (Vor-)Erben der Wille des Erblassers zur Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft ergibt.
II. Unbestimmtheit des Nacherben.
Rn 3
Alsdann darf der Erblasser den Nacherben nicht bestimmt haben. Dieser darf sich auch nicht durch Auslegung der letztwilligen Verfügung ergeben.
Rn 4
Demgemäß ist die Regel unanwendbar, wenn der Nacherbe durch Merkmale gekennzeichnet und hiernach bestimmt oder zumindest bestimmbar ist. Sie ist ebenfalls unanwendbar, wenn der Erblasser seine gesetzlichen Erben zu Nacherben berufen hat; dann ist freilich Auslegungsfrage, ob die gesetzlichen Erben beim Erbfall oder die fiktiven gesetzlichen Erben beim Nacherbfall gemeint sind (BayObLGZ 66, 227, 232; nach Soergel/Harder/Wegmann § 2104 Rz 3 im Zweifel letzteres). Die Regel ist auch unanwendbar, wenn die Auslegungsregel des § 2269 I widerlegt ist und Ehegatten die beiderseitigen Kinder zu Nacherben eingesetzt haben; Nacherben des zuerst versterbenden Ehegatten sind dann seine fiktiven gesetzlichen Erben zum Zeitpunkt des Todes des länger lebenden Ehegatten. Die Regel ist auch unanwendbar, wenn der Erblasser den Nacherben bestimmt hat und nur die Bestimmung hinfällig ist oder (zB durch Vorversterben des Nacherben oder durch Anfechtung) hinfällig wird (BGH NJW 86, 1812 [BGH 22.01.1986 - IVa ZR 90/84]). Steht aber fest, dass der Erbe den Nachlass auf jeden Fall nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses behalten soll, so gilt § 2104 entspr (RG JW 07, 259; KG DNotZ 33, 286).
Rn 5
Umstr ist die Anwendbarkeit der Regel, wenn der Erblasser die Bestimmung des Nacherben (in unzulässiger Weise, s § 2100 Rn 39 f) dem Vorerben überlassen hat (dafür Hamm ZEV 95, 376 und Schlesw ZEV 10, 635; dagegen Frankf DNotZ 01, 143 [OLG Frankfurt am Main 10.12.1999 - 20 W 224/97] m Anm Kanzleiter, der von dieser Klausel abrät).
III. Kombination mit § 2106.
Rn 6
Die Auslegungsregeln der §§ 2104, 2106 können miteinander kombiniert werden, wenn der Erblasser auch den Nacherbfall nicht bestimmt hat (BayObLGZ 66, 227); Nacherben sind dann seine fiktiven gesetzlichen Erben beim Tod des Vorerben (BayObLG FamRZ 96, 1577). Der Vorerbe muss allerdings bestimmt sein.
C. Rechtsfolgen.
Rn 7
Zu Nacherben berufen sind die Personen, die die gesetzlichen Erben des Erblassers wären, wenn er erst zum Zeitpunkt des Nacherbfalls verstorben wäre (fiktive gesetzliche Erben). Wer dazu gehört, sagt im Zweifel § 2066 2. Es können dies ganz andere Personen sein als seine gesetzlichen Erben beim Erbfall. Ist die Abweichung zu groß, so kann die Auslegung ergeben, dass der Vorerbe als Vollerbe eingesetzt ist.
Rn 8
Bis zum Nacherbfall sind die Nacherben unbekannt. Für sie kann Pflegschaft angeordnet (§ 1913) oder ein Testamentsvollstrecker eingesetzt (§ 2222) werden. Die als Nacherben in Betracht kommenden fiktiven gesetzlichen Erben haben bis zum Nacherbfall kein Anwartschaftsrecht (BayObLGZ 66, 227, 229).
D. Fiskus.
Rn 9
Die Auslegungsregel gilt grds nicht zugunsten des Fiskus als Nacherben (§ 2104 2). Es ist umstr, ob die Erbschaft dann dem Vorerben als Vollerben verbleibt (MüKo/Lieder § 2104 Rz 7) oder dessen gesetzlichen Erben anfällt (RGRK/Johannsen § 2104 Rz 11). Die Auslegung der Verfügung vTw kann aber auch ergeben, dass der Erblasser auch den Fiskus als Nacherben einsetzen wollte (MüKo/Lieder aaO).