Prof. Dr. Gottfried Schiemann
Gesetzestext
(1) Hat der Erblasser die vermachte Sache nur der Gattung nach bestimmt, so ist eine den Verhältnissen des Bedachten entsprechende Sache zu leisten.
(2) Ist die Bestimmung der Sache dem Bedachten oder einem Dritten übertragen, so finden die nach § 2154 für die Wahl des Dritten geltenden Vorschriften Anwendung.
(3) Entspricht die von dem Bedachten oder dem Dritten getroffene Bestimmung den Verhältnissen des Bedachten offenbar nicht, so hat der Beschwerte so zu leisten, wie wenn der Erblasser über die Bestimmung der Sache keine Anordnung getroffen hätte.
Rn 1
§ 2155 ist eine Spezialvorschrift zu § 243. Die Bestimmung des Vermächtnisgegenstandes ›der Gattung nach‹ erfolgt durch den Erblasser. Ist dessen Wille nicht eindeutig zu ermitteln, kann sich die Gattungsschuld aus der Verkehrsauffassung ergeben. Anders als beim Vermächtnis nach § 2154 sind nicht schon die in Frage kommenden Gegenstände selbst konkret festgelegt, sondern nur deren Eigenschaft(en). Dabei geht das Gesetz – wie § 243 – von einer Sachschuld aus. Für die gesetzlich nicht geregelten sonstigen Gegenstände wie Rechte und Dienstleistungen hat aber Entspr zu gelten (Bremen ZEV 01, 401; Staud/Schiemann § 243 Rz 44 ff). Andererseits passt § 2155 auf Geldvermächtnisse nicht, wohl aber auf Kryptowährungen. Eine Sonderregelung dafür ist auch überflüssig. Die Besonderheit des § 2155 ggü § 243 liegt va darin, dass nicht Sachen von mittlerer Art und Güte zu leisten sind, sondern – der typischerweise persönlichen Prägung des Vermächtnisrechts gemäß – Sachen (und sonstige Gegenstände), die den Verhältnissen des Bedachten entsprechen. Um dieses Merkmal erfüllen zu können, ist uU die Mitwirkung des Vermächtnisnehmers auch dann erforderlich, wenn ihm nicht gem II Alt 1 die Bestimmung der Sache überlassen worden ist. Der Erblasser kann freilich – und dies wird meistens seinem Willen entspr (zurückhaltend aber Staud/Otte Rz 5) – die Gattung, aus der zu leisten ist, auf den Nachlass beschränken (zB ›10 Flaschen aus meinem Weinkeller‹). Dann steht die Anordnung einem Wahlvermächtnis sehr nahe. § 2155 sollte aber wegen des für den Vermächtnisnehmer günstigeren und individuellen Maßstabes im Zweifel den Vorrang haben.
Rn 2
Hat der Erblasser selbst noch einen der Vermächtnisanordnung entspr Gegenstand auf den Bedachten übertragen, ist § 2169 I mangels ›bestimmten Gegenstandes‹ nicht anzuwenden, so dass das Vermächtnis wirksam bleibt. Auch wenn der Erblasser bei der Zuwendung unter Lebenden die Vermächtnisanordnung vergessen hatte, kann der Bedachte das Vermachte nochmals fordern. Ggü der Annahme einer ›stillschweigenden‹ auflösenden Bedingung der Anordnung oder eines Schuldbefreiungszwecks iSd § 267 bei der vorzeitigen Leistung ist große Vorsicht geboten.
Rn 3
Nach § 243 II hat das Recht zur Bestimmung des Leistungsgegenstandes der Beschwerte. Entspricht ein Angebot nicht den Verhältnissen des Bedachten, kann dieser nicht auf eine von ihm selbst oder dem Gericht zu bestimmende Sache klagen. Er ist auf die Zwangsvollstreckung nach § 884 ZPO oder den Übergang zum Schadensersatz statt der Leistung nach § 893 ZPO verwiesen (zum Ausnahmefall, dass infolge des Bestimmungsmaßstabs nur eine erfüllungsgeeignete Sache übrig geblieben ist, Staud/Otte Rz 8). – Zur Verweisung in II auf § 2154 vgl dort. III bringt die allg Regel wieder zur Anwendung, dass der Beschwerte die Leistungsbestimmung vorzunehmen hat, jedoch nach dem Maßstab des I, nicht nach § 243 I.