Prof. Dr. Martin Avenarius
Gesetzestext
(1) Ein gemeinschaftliches Testament ist in den Fällen des § 2077 seinem ganzen Inhalt nach unwirksam.
(2) Wird die Ehe vor dem Tod eines der Ehegatten aufgelöst oder liegen die Voraussetzungen des § 2077 Abs. 1 Satz 2 oder 3 vor, so bleiben die Verfügungen insoweit wirksam, als anzunehmen ist, dass sie auch für diesen Fall getroffen sein würden.
Rn 1
Grundlage für das gemeinschaftliche Testament ist insofern die Ehe, als die Ehepartner bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments in aller Regel vom Bestand ihrer Ehe bis zum Tode ausgehen. Wird die Ehe nun vor dem Tod eines der Ehegatten aufgelöst oder für nichtig erklärt, dann beeinträchtigt dies die Wirksamkeit des Testaments. Nach der Lebenserfahrung ist nämlich anzunehmen, dass sie nicht gemeinschaftlich testiert hätten, wenn sie das Scheitern ihrer Ehe vorausgesehen hätten, und dass sie die Fortgeltung des Testaments nach Auflösung ihrer Ehe idR nicht wollen. Dies gilt entgegen dem Wortlaut des § 2077 unabhängig davon, ob das Testament überhaupt Verfügungen zugunsten der Ehegatten enthält. Die Regel des I, nach der die volle Unwirksamkeit eintritt, betrifft nur die nichtige Ehe. Wird die Ehe nämlich geschieden oder erweist sie sich als scheidbar oder aufhebbar, besteht uU Raum für den Beweis, dass der Testierwille gleichwohl fortbesteht (II; vgl Czubayko FPR 11, 260).
Rn 2
Schließen die geschiedenen Ehegatten erneut die Ehe, dann wird das gemeinschaftliche Testament nicht schon allein dadurch wieder wirksam (KG FamRZ 68, 218; BayObLG NJW 96, 133 [BayObLG 23.05.1995 - 1Z BR 128/94]). Nach aM (Jauernig/Stürner Rz 1; vgl MüKo/Leipold § 2077 Rz 29) soll das Testament in diesem Fall wirksam geblieben sein. Dieses Ergebnis kann sich auch aus dem hypothetischen Willen der Ehegatten ergeben (BayObLG aaO; Ddorf FamRZ 17, 1790). Dazu müsste sich allerdings für den Zeitpunkt der Testamentserrichtung ein dahingehender hypothetischer Wille erkennen lassen, dass das Testament bei einer späteren Scheidung fortgelten solle (vgl Hamm ZEV 11, 265 [OLG Hamm 26.08.2010 - I-15 Wx 317/09]; Dresden ZEV 10, 257 [OLG Dresden 10.09.2009 - 3 W 673/09]).
Rn 3
Der Wille, dass die Verfügungen trotz Auflösung der Ehe fortgelten sollen, wird sich bei einseitigen Verfügungen eher feststellen lassen als bei gegenseitigen (vgl Hamm NJW-RR 92, 331 [OLG Hamm 22.10.1991 - 15 W 261/91]). Bei wechselbezüglichen Verfügungen kann sich der Aufrechterhaltungswille uU aus der Person des Bedachten ergeben, wenn nämlich zB gemeinschaftliche Abkömmlinge bedacht sind (BayObLG NJW-RR 93, 1158). Liegt dieser Wille vor, dann soll die Bindungswirkung der Verfügungen (§§ 2270, 2271) nach BGHZ 160, 37 über den Bestand der Ehe hinaus wirken, weil es an einer gesetzlichen Einschränkung der Bindungswirkung fehle (zust Musielak LMK 04, 208 sowie i Erg Keim ZEV 04, 425; Waldner BGH-Report 04, 1422; Schlitt ZEV 05, 98; Müller Rpfleger 05, 493). Die Vorinstanz (KG FamRB 04, 16) war mit Muscheler (DNotZ 94, 741–744, zust Kanzleiter ZEV 05, 181) davon ausgegangen, dass die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen mit der Ehe notwendig endete. Vorzugswürdig erscheint es, auch im Falle, dass die Fortgeltung der Verfügungen gewollt ist, gesondert zu prüfen, ob dies auch für die Wechselbezüglichkeit gilt (vgl LG München I ZEV 08, 537 m zust Anm Hägele), so dass uU ein Widerruf durch neue Verfügung möglich ist. Die Verfügungen sollten allerdings jedenfalls dann einseitig unaufhebbar bleiben, wenn die Ehegatten es so gewollt haben (vgl BayObLG NJW 96, 134 [BayObLG 23.05.1995 - 1Z BR 128/94]). Dafür spricht nämlich, dass die Wechselbezüglichkeit von Anfang an vom Willen der Parteien abhängt (vgl § 2270 II; Lange/Kuchinke § 24 I 6).