Rn 6
Der Berechtigte kann den belasteten Erbteil annehmen, und zwar schon vor Beginn der Frist nach I Hs 2 (Hamm FamRZ 05, 306, 307). Die angenommene Erbschaft kann dann auch innerhalb der Frist des I Hs 2 nicht mehr ausgeschlagen, sondern nur die Annahme angefochten (§ 1954) werden (BGH NJW 89, 2885 [BGH 08.02.1989 - IVa ZR 98/87]; Hamm aaO). Durch seine Annahme bleibt der Berechtigte Erbe und hat die angeordneten Beschwerungen und Beschränkungen zu erfüllen, auch wenn sie seinen Erbteil wirtschaftlich aufzehren; § 2318 hilft ihm nicht. Anders als nach § 2306 I 1 aF gilt dieses auch, wenn der hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt; das für diesen Fall angeordnete automatische Entfallen der Lasten gibt es nicht mehr (Rn 1). Das Gesetz garantiert keine unbeschränkte Beteiligung als Erbe, sondern nur – nach Ausschlagung – einen (vollen) Pflichtteil. Im Fall der Annahme bietet auch § 2305 keinen Schutz vor wertaufzehrenden Lasten (s § 2305 Rn 3). Allgemein mag eine Ausschlagung wirtschaftlich sinnvoll sein, wenn der angenommene Erbteil wirtschaftlich wegen der Beschränkungen und Beschwerungen weniger Wert als der Pflichtteil ist (vgl BRDrs 96/08, 41). Dies ist innerhalb der kurzen Ausschlagungsfrist zu entscheiden (Rn 8). Im Fall der Ausschlagung geht der dann volle Pflichtteilsanspruch nur auf Wertausgleich (§ 2317 Rn 1). Der (nicht ausschlagende) Erbe kann den ordentlichen Pflichtteilsanspruch nicht geltend machen.
Rn 7
Ausschlagung. Die Ausschlagung ist ein vererbliches (§ 1952), iÜ höchstpersönliches, nicht selbstständig übertragbares (Wahl-)Recht. Es geht bei Überleitung des Pflichtteilsanspruchs nicht gem § 93 I 1 SGB XII auf den Sozialhilfeträger über (§ 2317 Rn 9). Zur Ausschlagung durch einen Sozialleistungsempfänger s § 2303 Rn 6.
Rn 8
Frist. Der Beginn der sechswöchigen (§ 1944 I) Frist für die Ausschlagung nach I Hs 2 setzt neben den Voraussetzungen des § 1944 (dazu Zweibr ZEV 07, 97, 98) voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte das Testament des Erblassers für wirksam hält (BGH WM 68, 542, 544; ZEV 00, 401) und Kenntnis über den zugedachten Erbteil sowie eine feste Vorstellung über die tatsächlich bestehenden (BGH NJW 91, 169, 171 [BGH 26.09.1990 - IV ZR 131/89]) Beschränkungen und Belastungen gewonnen hat, dh zuverlässig die Umstände erfahren hat, aufgrund derer sein Handeln erwartet werden kann (Hamm 2.3.23 – I-10 U 108/21 Rz 35: Kenntnis kann fehlen, wenn Berechtigter davon ausgeht, die Verfügung sei unwirksam); die Kenntnis des konkreten Wertes des verbleibenden Erbteils gehört nicht (mehr) dazu (Damrau/Riedel Rz 28; HkPfl/Schmidt-Recla Rz 24; aA FA-ErbR/Lindner Rz 18; MüKo/Lange Rz 29; Lange DNotZ 09, 732, 735f), wohl aber zB bei Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen (§ 2087 Rn 3 ff) die Kenntnis des Wertverhältnis der Zuwendungen zum Nachlass, bei Zugewinngemeinschaftsehe des Erblassers die Kenntnis, ob der überlebende Ehegatte die güterrechtliche Lösung wählt (§ 2303 Rn 10). Liegt die Kenntnis vor, muss der Erblasser innerhalb der kurzen Ausschlagungsfrist abschätzen, ob er mit beschwerter Erbschaft oder mit dem Pflichtteil wirtschaftlich besser steht (vgl Stuttg FamRZ 09, 1182).
Rn 9
Vorbehalt. Zu § 2306 aF war streitig, ob eine uneingeschränkte Ausschlagung unter dem Vorbehalt, dass ein Geldanspruch gegen den Erben entstehe, zulässig sei. Die hM lehnte dies als unzulässige Bedingung iSv § 1947 ab. § 1947 bezwecke, einen Schwebezustand eindeutig und schnell zu beenden (Mot V, 505). Da insb wegen Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten der wirtschaftliche Wert des hinterlassenen Erbteils schwer zu bewerten sein kann, war es interessengerecht, den Vorbehalt zuzulassen. Rechtskonstruktiv lässt sich vertreten, er sei eine zulässige Gegenwartsbedingung. Bei Abgabe der Erklärung stehe objektiv fest, ob für den Ausschlagenden ein Pflichtteilsanspruch entsteht (str; BayObLG FamRZ 05, 1127; Brandbg ZErb 04, 132, 133). Da § 2306 nF in jedem Fall, unabhängig von der Höhe des hinterlassenen Erbteils, nach Ausschlagung die Geltendmachung des vollen Pflichtteilsanspruchs erlaubt, hat sich die frühere Problematik, die den Vorbehalt sinnvoll machte, entschärft (Rn 1).