Gesetzestext
(1) 1Ist ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, so kann er den Pflichtteil verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. 2Schlägt er nicht aus, so steht ihm ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu, soweit der Wert des Vermächtnisses reicht; bei der Berechnung des Wertes bleiben Beschränkungen und Beschwerungen der in § 2306 bezeichneten Art außer Betracht.
(2) 1Der mit dem Vermächtnis beschwerte Erbe kann den Pflichtteilsberechtigten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses auffordern. 2Mit dem Ablauf der Frist gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, wenn nicht vorher die Annahme erklärt wird.
A. Zweck.
Rn 1
Die Norm räumt dem Pflichtteilsberechtigten, der nicht zum Erben berufen, aber mit einem Vermächtnis bedacht wurde, ein Wahlrecht ein. Er kann das Vermächtnis unter voller Anrechnung auf den Pflichtteil annehmen (I 2) und daneben ggf einen Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305) geltend machen. Oder er schlägt aus (§ 2180). Dann kann er den vollen Pflichtteil verlangen (I 1). Der Erblasser soll nicht dem Berechtigten unabhängig von dessen Willen statt dem Pflichtteilsanspruch ein Vermächtnis (von ggf zweifelhaftem Wert) aufdrängen können (Mot V, 393). Damit der Berechtigte die ihm günstigere Möglichkeit einschätzen kann, steht ihm ein Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch (§ 2314) zu. Zu den Konsequenzen der Ausschlagung für die Erben und Vermächtnisnehmer s § 2321.
B. Erfasste Vermächtnisse.
Rn 2
§ 2307 gilt für alle, auch für belastete, befristete oder bedingte Vermächtnisse, selbst, wenn sie aufschiebend befristet oder bedingt sind (hM, BayObLG NJW-RR 04, 1085; Oldbg NJW 91, 988; MüKo/Lange Rz 7f), nicht aber für Auflagen (RG JW 28, 907; Ddorf FamRZ 91, 1107, 1109) oder sog Bedingungsleistungen (Staud/Otte Rz 8). Auch für Vermächtnisse, die neben dem Pflichtteil zusätzlich zugewandt werden, gilt § 2307 seiner Zielrichtung (Rn 1) nach nicht (RGZ 129, 239, 241). Dem Ersatzvermächtnisnehmer ist zunächst nichts hinterlassen, so dass er ohne Ausschlagung den Pflichtteil verlangen kann (aA Staud/Otte Rz 9). Erhält er das Vermächtnis dann und schlägt nicht aus, muss er, soweit der Pflichtteil durch den Wert des Vermächtnisses gedeckt ist, das Empfangene zurückgewähren (MüKo/Lange Rz 9).
C. Ausschlagung des Vermächtnisses.
Rn 3
Die Ausschlagung (I 1) kann nach dem Erbfall formlos, auch konkludent (BGH NJW 01, 520, 521 [BGH 18.10.2000 - IV ZR 99/99]), ggü dem Beschwerten (§ 2180 II 1) erfolgen. Eine solche liegt aber nicht generell bereits in der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs (Hamm 9.2.23 – I-10 U 117/22 Rz 46). Der Anfall des Vermächtnisses an den Pflichtteilsberechtigten gilt dann als nicht erfolgt (§§ 2180 III, 1953 I). Der Berechtigte erlangt den vollen Pflichtteilsanspruch. Der Ehegatte in Zugewinngemeinschaft kann nur den kleinen, nach § 1931 berechneten Pflichtteil nebst rechnerischem Zugewinnausgleich verlangen (§ 1371 II). Er hat kein Wahlrecht zum großen Pflichtteil. Entspr gilt zum Lebenspartner (s § 6 LPartG). Das Recht auszuschlagen ist vererblich. Minderjährige bedürfen der Genehmigung des FamG (§ 1643 II 1 Alt 1). Zur Pflichtteilslast im Innenverhältnis s § 2321.
D. Annahme des Vermächtnisses.
Rn 4
Bei (ggf konkludenter; vgl BGH ZEV 98, 24) Annahme des Vermächtnisses, die nicht bedingt sein kann, erfolgt Anrechnung des Wertes des Vermächtnisses zur Zeit des Erbfalls auf den Pflichtteil. Der Erblasser kann für die Annahme (nicht: bei Ausschlagung) die Anrechnung zu einem bestimmten Wert anordnen. Ggf verbleibt ein Pflichtteilsrestanspruch (I 2 Hs 1; s § 2305). Beschränkungen (Ernennung eines verwaltenden Testamentsvollstreckers: §§ 2211, 2212; eines Vermächtnisvollstreckers: § 2223; Anordnung eines Nachlassvermächtnisses: § 2191) und Beschwerungen (Untervermächtnis: § 2147, Aufl: § 2192) der in § 2306 bezeichneten Art werden nicht mitberechnet (I 2 Hs 2). Der Pflichtteilsrestanspruch wird um den vollen Wert des Vermächtnisses, auch des aufschiebend bedingten (Oldbg NJW 91, 988 [OLG Oldenburg 13.11.1990 - 5 U 76/90]; auch BGH NJW 01, 520 [BGH 18.10.2000 - IV ZR 99/99]; BeckOKBGB/Müller Rz 9; aA Karlsr Justiz 62, 152), an sich gemindert, auch wenn dieses wegen einer Beschränkung bzw Beschwerung wirtschaftlich wertlos ist (MüKo/Lange Rz 6, 13). Maßstab beim Ehegatten in Zugewinngemeinschaft ist der große Pflichtteil (§ 2303 Rn 11; BGH NJW 79, 917 [BGH 13.12.1978 - IV ZR 56/77]). Für die Vermächtnisforderung greift § 852 ZPO nicht (BayObLG OLGE 16, 41f). In der Insolvenz steht das Vermächtnis bis zur Höhe des Pflichtteils im Rang den Pflichtteilsrechten gleich (§ 327 II 1 InsO). Verjährung: § 2317 Rn 11 ff.
E. Frist (Abs 2).
Rn 5
An sich besteht für die Annahme oder Ausschlagung eines Vermächtnisses keine Frist (vgl § 2180; BGH 12.1.11 – IV ZR 230/09). Damit der beschwerte Erbe Klarheit hat, kann (nur) er dem Pflichtteilsberechtigten eine Annahmefrist setzen (II 1). Diese muss angemessen sein, dh sie darf idR nicht vor einer gesetzten Inventarfrist (§ 1944) oder Auskunftsfrist (§ 2314) enden. Mit ihrem Ablauf gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen...