Gesetzestext
(1) 1Der Erbe kann die Erfüllung eines ihm auferlegten Vermächtnisses soweit verweigern, dass die Pflichtteilslast von ihm und dem Vermächtnisnehmer verhältnismäßig getragen wird. 2Das Gleiche gilt von einer Auflage.
(2) Einem pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer gegenüber ist die Kürzung nur soweit zulässig, dass ihm der Pflichtteil verbleibt.
(3) Ist der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt, so kann er wegen der Pflichtteilslast das Vermächtnis und die Auflage soweit kürzen, dass ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt.
A. Zweck.
Rn 1
Im Außenverhältnis ist alleine der Erbe Schuldner des Pflichtteilsanspruchs (RG JW 14, 593; Gottwald Rz 1); mehrere Erben sind Gesamtschuldner (§ 2058). Hat der Erbe zudem Vermächtnisse und Auflagen zu erfüllen, die den Pflichtteil nie verringern (§ 2311 Rn 7), kann er diese insoweit mittels peremptorischer Einrede verhältnismäßig kürzen, so dass im Innenverhältnis die Pflichtteilslast gemeinsam getragen wird. Die Norm entspricht dem mutmaßlichen Erblasserwillen. Folglich kann nicht gekürzt werden, wenn der Pflichtteilsanspruch nicht gegen den Erben geltend gemacht und dieser nicht wirtschaftlich belastet wird (Frankf FamRZ 91, 238, 240; Kobl 5 U 1/82 v 18.5.82: zur Verjährung). Späterer schenkweiser Erlass lässt das Kürzungsrecht aber nicht entfallen (LG München II NJW-RR 89, 8; str). § 2318 I ist abdingbar (§ 2324, vgl Stuttg BWNotZ 85, 88). Zahlungen in Unkenntnis des Kürzungsrechts können nach § 813 I 1 zurückgefordert werden (KG FamRZ 77, 267; Tanck ZEV 98, 132, 133). Vermächtnisnehmer können ggf ihrerseits nach den §§ 2188f kürzen. Ein RA hat über die Beteiligungslast aufzuklären (LG Düsseldorf NJW-RR 08, 678 [LG Düsseldorf 09.01.2008 - 11 O 290/07]).
B. Kürzungsbefugnis (Abs 1).
Rn 2
Hat der Erblasser keine abw Regelung getroffen und liegt kein Ausnahmetatbestand nach §§ 2321f vor, trägt der Erbe im Verhältnis zum Vermächtnisnehmer (I 1) bzw Auflagenbegünstigten (I 2) die Pflichtteilslast nur anteilig. Sind mehrere Vermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigte vorhanden, kein Vorrang angeordnet (§ 2189) und II nicht einschlägig, besteht gegen jeden von ihnen das verhältnismäßige Kürzungsrecht. Dem Kürzungsrecht unterliegen grds auch gesetzliche Vermächtnisse (hM), zB der Dreißigste (§ 1969), nicht jedoch der nach § 2311 I 2 abzugsfähige Voraus (§ 1932) oder der Unterhaltsanspruch der Mutter nach § 1963 sowie der Ausbildungsanspruch des Stiefkinds nach § 1371 IV (Damrau/Lenz Rz 5; MüKo/Lange Rz 4). Ist die Kürzung (zT) nach II eingeschränkt, ist der dadurch entstehende Ausfall nach der Grundregel des I vom Erben und den anderen, nicht pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmern sowie den Auflagenbegünstigten zu tragen (hM; Soergel/Dieckmann Rz 8). Die Kürzung richtet sich dann nach dem jeweiligen Beteiligungsverhältnis am um den Pflichtteil bereinigten Nachlass. Der Anspruch auf Beteiligung des Vermächtnisnehmers an der Pflichtteilslast ist (auch in seiner Ausgestaltung als Bereicherungsanspruch nach Vermächtniserfüllung) nicht abtretbar (Frankf FamRZ 91, 238).
C. Berechnung.
Rn 3
Der Kürzungsbetrag (K) berechnet sich nach der Martin'schen Formel (ZBlFG 14, 789 ff; vgl KG FamRZ 77, 267, 269): Die Pflichtteilslast (P) wird mit dem Vermächtnis oder der Aufl (V/A) multipliziert und das Ergebnis durch den (nicht um Vermächtnis oder Auflage gekürzten) Nachlass (N) dividiert: K = P×(V/A)/N. IdR kann der Erbe das Vermächtnis bzw die Auflage um den Prozentsatz kürzen, der der Pflichtteilsquote des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass entspricht, es sei denn, es bestehen Anrechnungs- oder Ausgleichungspflichten (§§ 2315f), da sich hier eine abw Pflichtteilsbeteiligung ergibt (BeckOKBGB/Müller Rz 4). Bsp: Der Nachlasswert (N) beträgt 3000, einziger Pflichtteilsberechtigter ist der Sohn S, Alleinerbe ist der familienfremde Y, und für A ist ein Vermächtnis (V) im Wert von 100 ausgesetzt. Die Pflichtteilslast (P) beträgt hier die Hälfte des Nachlasswerts (1500). Sie ist mit dem Vermächtnis (V) zu multiplizieren (1500 × 100 = 150000) und die Summe durch den Nachlasswert zu dividieren (150000/3000 = 50). Der Kürzungsbetrag (K) ist 50.
D. Unteilbare Leistung.
Rn 4
Richtet sich der Anspruch aus dem Vermächtnis auf eine unteilbare Leistung, kann der belastete Erbe von dem Vermächtnisnehmer nur fordern, dass ihm gegen Erfüllung des Vermächtnisses der Unterschiedsbetrag zwischen dem geschätzten Wert des Vermächtnisses zzgl des Pflichtteilsanspruchs und dem Wert des ihm hinterlassenen Nachlasses gezahlt wird. Verweigert der Vermächtnisnehmer die Zahlung, ist der Betrag zu zahlen, der dem Wert des Vermächtnisses abzgl des sonst vom Vermächtnisnehmer zu erstattenden Betrags entspricht (BGH NJW 56, 507 [BGH 21.12.1955 - IV ZR 105/55]).
E. Einschränkung des Kürzungsrechts (Abs 2).
Rn 5
Eine Einschränkung des Kürzungsrechts des Erben besteht, wenn der Vermächtnisnehmer (nicht: Auflagenbegünstigte) selbst pflichtteilsberechtigt ist. Nach der zwingenden Bestimmung des II (vgl § 2324) darf das Vermächtnis nur bis zur Höhe des Pflichtteils gekürzt werden (BGH ZEV 21, 449 [BGH 24.03.2021 - IV ZR 269/20] Rz 28; sog Kürzungsgren...