Rn 2
§ 2333 I regelt die Entziehung des Pflichtteils der Abkömmlinge (§ 2303 Rn 2), II ordnet die entspr Geltung für Eltern und Ehegatten an. Deren schuldhafter Verstoß gegen die Familiensolidarität (Rn 1) ist Voraussetzung der Entziehung (Ddorf NJW 68, 944 [OLG Düsseldorf 23.02.1968 - 7 U 128/66]). Daher liegt grds kein Entziehungsgrund vor, wenn der Berechtigte in Notwehr (§ 32 StGB), Putativnotwehr oder unverschuldeter Notwehrüberschreitung iSv § 33 StGB handelte. Zu I Nr 1 hat das BVerfG festgestellt, dass das erforderliche Verschulden nicht strikt im strafrechtlichen Sinne zu verstehen ist. Daher genügt es im Einzelfall, wenn der iSd Strafrechts schuldunfähige Pflichtteilsberechtigte den objektiven Unrechtstatbestand wissentlich und willentlich verwirklichte (BVerfG NJW 05, 1561, 1566 [BVerfG 19.04.2005 - 1 BvR 1644/00]; BGH ZEV 11, 370 [BGH 13.04.2011 - IV ZR 102/09]); entsprechendes gilt bei I Nr 2–3 (BeckOKBGB/Müller Rz 8; MüKo/Lange Rz 8; aA NK/Herzog Rz 8). Die nach dieser Konzeption nach I Nr 4 Satz 2 statt Verurteilung genügende Unterbringung (Rn 7) ist bei I Nr 1–3 aber nicht erforderlich. Das Gesetz stellt in Hinblick auf das Übermaßverbot auf eine schwere Verfehlung ab und fordert eine konkrete Abwägung mit den Vorwürfen ggü dem Berechtigten (vgl schon BGH NJW 90, 911 [BGH 06.12.1989 - IVa ZR 249/88]). Es besteht keine Bindung an eine strafrechtliche Verurteilung. Der Entziehungsgrund muss zur Zeit der Entziehung vorliegen (§ 2336 II 1; Frankf 18.10.22 – 10 U 88/22 Rz 21).
Rn 3
Nr 1: Erforderlich ist nicht planvolles Handeln, aber die ernsthafte Betätigung des Willens, den Tod herbeizuführen (RGZ 100, 114, 115). Mittäterschaft oder Teilnahme iSd §§ 25–27 StGB genügt. Auch durch eine straflose Vorbereitungshandlung oder einen Versuch mit untauglichen Mitteln und, wenn eine Rechtspflicht zu handeln besteht (s zB § 13 StGB), durch Unterlassen kann nach dem Leben getrachtet werden (MüKo/Lange Rz 18). Der Rücktritt nach § 24 StGB beseitigt nicht den entstandenen Entziehungsgrund (Staud/Olshausen Rz 3). Geschützt sind nunmehr neben den konkret genannten Angehörigen vor dem Hintergrund neuer Familienmodelle (Patchwork-Familien, nichteheliche Lebensgemeinschaften) dem Erblasser ähnl nahe stehende Personen wie solche, die mit dem Erblasser in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft zusammenleben oder die auf andere Weise mit ihm eng verbunden sind wie zB Stief- oder Pflegekinder (BTDrs 16/8954, 23). Eine Einziehung nach § 73 I StGB ist nicht zulässig (BGH NStZ-RR 21, 207).
Rn 4
Nr 2: Der Begriff ›Verbrechen‹ bestimmt sich nach § 12 I StGB (NK/Herzog Rz 7). Ob ein vorsätzliches Vergehen schwer ist, richtet sich nach dem Einzelfall und ist bei Eigentums- und Vermögensdelikten zu bejahen, wenn sie nach ihrer Natur und Begehungsweise eine grobe Missachtung der gebotenen Familiensolidarität ausdrücken und den Erblasser deshalb besonders kränken (Stuttg MDR 19, 555 [OLG Brandenburg 31.01.2019 - 3 W 37/18] Rz 9: zum Diebstahl; zu § 2333 aF BGH NJW 74, 1084 [BGH 01.03.1974 - IV ZR 58/72]; 11, 1878, 1879 [BGH 13.04.2011 - IV ZR 204/09]; Hamm NJW-RR 07, 1235, 1239 [OLG Hamm 22.02.2007 - 10 U 111/06]). Erfasst ist zB die vormals als Nr 2 ausdrücklich genannte vorsätzliche körperliche Misshandlung, die begrifflich iSv § 223 StGB zu verstehen ist (Mot V, 431; Karlsr ZErb 09, 304: nicht durch bloße Einleitung eines Betreuungsverfahrens). Sie muss kein besonders schwerer Angriff sein, doch reicht nicht jede Körperverletzung aus (Ddorf NJW-RR 96, 520 [OLG Düsseldorf 28.04.1995 - 7 U 113/94]). Insoweit nötig ist weiterhin eine schwere Verletzung der Achtung, die der Berechtigte dem Geschützen als Familienmitglied (iwS, Rn 3) schuldet (vgl RG WarnR 1913 Nr 102; zum Erfordernis der schweren Pietätsverletzung vgl zu § 2333 aF BGH NJW 90, 911 [BGH 06.12.1989 - IVa ZR 249/88]; Köln ZEV 03, 464, 466). Stets entscheidend ist das Maß des verschuldeten (Rn 2) Verstoßes gegen die gebotene Familiensolidarität im Einzelfall. Seelische Misshandlungen erfüllen den Entziehungsgrund, wenn durch sie zumindest bedingt vorsätzlich die körperliche Gesundheit geschädigt wird (BGH NJW 77, 339 [BGH 25.10.1976 - IV ZR 109/74]). Keine schweren Vergehen sind idR eine einzelne (grobe) Beleidigung (Celle Rpfleger 92, 523) oder die Ablichtung des Testaments des Erblassers ohne dessen Einwilligung. Das Verbrechen oder Vergehen muss in die (nicht notwendig strafrechtlich geschützte) Rechtssphäre des Geschützen (Rn 3) eingreifen; strafrechtliche Verurteilung ist nicht erforderlich. Nicht erfasst ist Handeln im Einverständnis mit dem betroffenen Geschützen (vgl BGH NJW-RR 86, 371 [BGH 29.05.1985 - IVa ZR 248/83]).
Rn 5
Nr 3: Der unterhaltsbedürftige Erblasser (vgl § 1606) hat keinen größeren Nachlass. Der daher nicht praxisrelevante Grund setzt eine Verweigerung des in Geld (Frankf 29.10.13 – 15 U 61/12) geschuldeten Unterhalts (§ 1612 I 1) trotz Leistungsfähigkeit (Karlsr ZErb 09, 304) aus verwerflicher Gesinnung voraus (hM); entscheidend sollte ...