Gesetzestext
(1) 1Der Erblasser kann einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling
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dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet, |
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sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht, |
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die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder |
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wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. 2Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird. |
(2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Entziehung des Eltern- oder Ehegattenpflichtteils.
A. Zweck.
Rn 1
§§ 2333–2335 ermöglichen es dem Erblasser, ausnahmsweise einem enterbten Pflichtteilsberechtigten (§ 2303 Rn 1), der die dem Erblasser geschuldeten familiäre Achtung (Familiensolidarität, vgl BGH NJW 11, 1878, 1879 [BGH 13.04.2011 - IV ZR 204/09]) erheblich verletzte, auch die Mindestbeteiligung am Nachlass zu entziehen, und erweitern dadurch seine Testierfreiheit (Vor § 2303 Rn 1–3). Als Rechtfertigung wird der Straf- oder Verwirkungsgedanke, der Erziehungszweck und Zumutbarkeitsgesichtspunkte angeführt. Die Gründe des § 2333 Nr 1 u 2 sind bei entspr Auslegung verfassungsgemäß (vgl BVerfG NJW 05, 1561, 1564f [BVerfG 19.04.2005 - 1 BvR 1644/00]). Die Entziehungsgründe sind abschließend geregelt und nicht ausdehnungs- oder analogiefähig (BGH NJW 74, 1084 [BGH 01.03.1974 - IV ZR 58/72]; 77, 339, 340 [BGH 25.10.1976 - IV ZR 109/74]; München ZEV 03, 367; Nürnbg 4.1.18 – 12 U 1668/17). Lebenspartner sind gem § 10 VI 2 LPartG Ehegatten gleichgestellt. §§ 2333 ff kommen auch auf Erbfälle nach dem 3.10.90 zur Anwendung, wenn das maßgebliche Testament zur Zeit der Geltung des DDR-ZGB errichtet wurde (Dresd ZEV 99, 274 [OLG Dresden 24.09.1998 - 7 U 1596/98]). Die Pflichtteilsentziehung bewirkt nicht, dass die Quote anderer Pflichtteilsberechtigter erhöht wird (§ 2310 Rn 3). Form und Beweislast: § 2336; Verzeihung: § 2337. Reform: Die Entziehungsgründe wurden zum 1.1.10 neu gefasst und gelten seither für alle ab dann eingetretenen Erbfälle (Art 229 § 23 IV EGBGB).
B. Voraussetzungen.
Rn 2
§ 2333 I regelt die Entziehung des Pflichtteils der Abkömmlinge (§ 2303 Rn 2), II ordnet die entspr Geltung für Eltern und Ehegatten an. Deren schuldhafter Verstoß gegen die Familiensolidarität (Rn 1) ist Voraussetzung der Entziehung (Ddorf NJW 68, 944 [OLG Düsseldorf 23.02.1968 - 7 U 128/66]). Daher liegt grds kein Entziehungsgrund vor, wenn der Berechtigte in Notwehr (§ 32 StGB), Putativnotwehr oder unverschuldeter Notwehrüberschreitung iSv § 33 StGB handelte. Zu I Nr 1 hat das BVerfG festgestellt, dass das erforderliche Verschulden nicht strikt im strafrechtlichen Sinne zu verstehen ist. Daher genügt es im Einzelfall, wenn der iSd Strafrechts schuldunfähige Pflichtteilsberechtigte den objektiven Unrechtstatbestand wissentlich und willentlich verwirklichte (BVerfG NJW 05, 1561, 1566 [BVerfG 19.04.2005 - 1 BvR 1644/00]; BGH ZEV 11, 370 [BGH 13.04.2011 - IV ZR 102/09]); entsprechendes gilt bei I Nr 2–3 (BeckOKBGB/Müller Rz 8; MüKo/Lange Rz 8; aA NK/Herzog Rz 8). Die nach dieser Konzeption nach I Nr 4 Satz 2 statt Verurteilung genügende Unterbringung (Rn 7) ist bei I Nr 1–3 aber nicht erforderlich. Das Gesetz stellt in Hinblick auf das Übermaßverbot auf eine schwere Verfehlung ab und fordert eine konkrete Abwägung mit den Vorwürfen ggü dem Berechtigten (vgl schon BGH NJW 90, 911 [BGH 06.12.1989 - IVa ZR 249/88]). Es besteht keine Bindung an eine strafrechtliche Verurteilung. Der Entziehungsgrund muss zur Zeit der Entziehung vorliegen (§ 2336 II 1; Frankf 18.10.22 – 10 U 88/22 Rz 21).
Rn 3
Nr 1: Erforderlich ist nicht planvolles Handeln, aber die ernsthafte Betätigung des Willens, den Tod herbeizuführen (RGZ 100, 114, 115). Mittäterschaft oder Teilnahme iSd §§ 25–27 StGB genügt. Auch durch eine straflose Vorbereitungshandlung oder einen Versuch mit untauglichen Mitteln und, wenn eine Rechtspflicht zu handeln besteht (s zB § 13 StGB), durch Unterlassen kann nach dem Leben getrachtet werden (MüKo/Lange Rz 18). Der Rücktritt nach § 24 StGB beseitigt nicht den entstandenen Entziehungsgrund (Staud/Olshausen Rz 3). Geschützt sind nunmehr neben den konkret genannten Angehörigen vor dem Hintergrund neuer Familienmodelle (Patchwork-Familien, nichteheliche Lebensgemeinschaften) dem Erblasser ähnl nahe stehende Personen wie solche, die mit dem Erblasser in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft zusammenleben oder die auf andere Weise mit ihm eng verbunden sind wie zB Stief- oder Pflegekinder (BTDrs 16/8954, 23). Eine Einziehung nach § 73 I StGB ist nicht zulässig (BGH NStZ-RR 21, 207).