Rn 5
Der in § 242 enthaltene Rechtsgrundsatz hat einen umfassenden Anwendungsbereich und beherrscht die gesamte Rechtsordnung (BGHZ 85, 39, 48; BGHZ 118, 182, 191). Die Vorschrift wird wegen ihrer überragenden Bedeutung gelegentlich als ›königliche Norm‹ bezeichnet (Weber JuS 92, 631). Zu der nur geringe Wirkungen entfaltenden Beschränkung von § 242 auf Sonderverbindungen s Rn 9.
Rn 6
Über seinen Wortlaut hinaus gilt § 242 nicht nur für das Schuldrecht, sondern für das Privatrecht insgesamt. Das gilt namentlich für das Sachen- (BGHZ 88, 344, 351; BGH NJW 07, 2183), das Familien- (BGH NJW 03, 510) und das Erbrecht (BGHZ 4, 91, 96), ferner für das Arbeitsrecht (BAG AP Nr 29 zu § 40 BetrVG 1972) sowie für Rechtsverhältnisse mit Einrichtungen der Zusatzversorgung (Karlsr OLGR 05, 876 [VBL]), das Gesellschaftsrecht (RGZ 146, 385, 396; BGH DB 06, 328, 329 [für § 51a I GmbHG]; zum Registerrecht s Rn 7), den gewerblichen Rechtsschutz und das Wettbewerbsrecht (BGH NJW 74, 2282; BGH NJW 71, 1749; BGH GRUR 11, 409) sowie das Versicherungsrecht (BGHZ 100, 60, 64).
Rn 7
Der Anwendungsbereich des Grundsatzes von Treu und Glauben umfasst auch das Öffentliche Recht, darunter insbes das Verwaltungsrecht (BVerwG NJW 94, 954, 955 [BVerwG 23.11.1993 - BVerwG 1 C 21/92]; NVwZ-RR 13, 1003 [BVerwG 13.06.2013 - BVerwG 5 C 30.12]; NVwZ 2014, 1671 [BVerwG 20.03.2014 - BVerwG 4 C 11.13] Rz 29; BGH NJW-RR 21, 1363 [BGH 29.07.2021 - III ZR 163/20] Rz 17 [bezogen auf Landesverwaltungsrecht]), das Steuerrecht (BFH NJW 90, 1251 [BFH 09.08.1989 - I R 181/85]; BFH/NV 16, 884 [BFH 01.12.2015 - VII R 45/14]) und das Sozialrecht (BSG NJW 96, 1277, 1278 [BGH 23.01.1996 - XI ZR 155/95] [zu § 89 BSHG aF entspricht § 91 SGB XII]; BSG NJW 10, 1485 [BSG 25.06.2009 - B 10 EG 3/08 R] [Elterngeld bei Wechsel der Lohnsteuerklasse]). Auch für die verschiedenen Registerrechte (Saarbr BB 06, 1179 [OLG Zweibrücken 15.02.2006 - 3 W 209/05] [Handelsregister]), das Zivilverfahrensrecht sowie die übrigen Verfahrensrechte (BGH NJW 94, 1351, 1352 [BGH 24.02.1994 - IX ZR 120/93]; 97, 3377, 3379 [BGH 05.06.1997 - X ZR 73/95]; NJW 18, 3581 [BGH 13.09.2018 - I ZR 26/17] Rz 37 [Verbandsklage]) einschließlich Mahnverfahren (BGH NJW 15, 3162 [BGH 16.07.2015 - III ZR 238/14]; BeckRS 15, 13344 Rz 30), Kostenrecht (BGH NJW 13, 66 Rz 10; BGH NJW 14, 2285 Rz 3) und das Zwangsvollstreckungsrecht (BGHZ 57, 108, 111; BGH NJW 08, 3279; 08, 3287; BGH NJW-RR 15, 850 Rz 8 [trotz der Schuldnerschutzvorschriften auch zugunsten des Schuldners]) lässt sich seine Anwendung belegen, ebenso etwa für Betreuervergütungen nach dem VBVG (BGH BeckRS 12, 5316; BGH BeckRS 12, 14546). Dass, wie häufig betont wird, dabei nicht § 242 selbst, sondern der dieser Vorschrift zu entnehmende Grundsatz angewandt wird, ist angesichts des geringen eigenständig tatbestandlichen Gehalts (s Rn 2) der Vorschrift eher irreführend. Das von der öffentlichen Hand daneben zu wahrende Gebot der angemessenen Vertragsgestaltung und der angemessenen Ausübung vertraglicher Rechte beruht nicht auf § 242, sondern auf dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem das gesamte Handeln der Verwaltung und mithin auch das Verwaltungsprivatrecht unterliegt (BGH NJW 03, 888, 889 [BGH 29.11.2002 - V ZR 105/02]; NJW-RR 06, 1452 [BGH 21.07.2006 - V ZR 252/05] Rz 10; NJW 15, 732 Rz 36).