Rn 9
Fahrlässigkeit ist tatsächlich der regelmäßige Haftungsstandard; sie wird als ›Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt‹ definiert (§ 276 II). Aufzubringen ist also die ›erforderliche‹, nicht nur die ›übliche‹ Sorgfalt; im Verkehr eingerissene Unsitten entlasten nicht, mögen sie auch im jeweiligen Verkehrskreis üblich sein (RGZ 128, 39, 44 [›in Jägerkreisen herrschende Übung‹ nicht maßgeblich]; BGHZ 30, 7, 15; BGH NJW 06, 2336 Rz 7; BAG NZA 15, 1057 Rz 16 [Wiederholung des Verhaltens ändert nichts]). Das gilt etwa auch für die personelle Unterversorgung einer Klinik hinsichtlich des vom Klinikbetreiber geforderten Sorgfaltsstandards (BGHZ 95, 63, 73).
Rn 10
Nach hA ist die verkehrserforderliche Sorgfalt objektiviert (BGHZ 24, 21, 28; BGHZ 129, 226, 232; BGH VersR 06, 228, 229) und verlangt Einhaltung der Standards, die im betreffenden Berufskreis oder Verkehrskreis gelten (BGHZ 113, 297, 303; BGH NJW 03, 2022, 2024; BGH RdTW 13, 484 Rz 14). Der Schuldner garantiert damit letztlich, dass er über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt (Huber Leistungsstörungen I 671). Es gilt deshalb kein individueller Maßstab, nach dem sich der Verpflichtete darauf berufen könnte, die in seinem Berufskreis geltenden Standards selbst nicht erreichen zu können, etwa weil er mangelhaft ausgebildet ist (BGH NJW-RR 03, 1454, 1455 [BGH 10.07.2003 - VII ZR 329/02] [fehlende Vermittlung bestimmter Fachkenntnisse an der Universität schützt den Architekten nicht]). Die Figur des sog Übernahmeverschuldens ist insoweit nicht mehr als eine Erklärung, welche bei Verzicht auf die Merkmale Vorwerfbarkeit oder innere Sorgfalt (s Rn 3) entbehrlich ist. Zu den Grenzen der gebotenen Sorgfalt zählt auch die Zumutbarkeit des geforderten Verhaltens. Fehlverhalten des anderen Teils kann daher die Sorgfaltspflicht schon iRd Fahrlässigkeit (vgl Rn 18 ff) herabsetzen (BSG BeckRS 12, 75373 Rz 5 ff).
Rn 11
Wie bereits § 311a II 2 zeigt, gehört zur im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch die gebotene Vergewisserung über Tatsachen und die Rechtslage. Tatsachenirrtümer und Rechtsirrtümer entlasten den Schuldner nur, soweit sie nicht ihrerseits auf Fahrlässigkeit beruhen (BGH NJW 11, 2120 [BGH 10.02.2011 - VII ZR 53/10] Rz 16; BGH NJW 10, 2339 [BGH 29.06.2010 - XI ZR 308/09] Rz 3; Staud/Löwisch/Caspers [2009] § 276 Rz 52; s.o. Rn 3). Die Standards für die entstehenden Nachforschungs›pflichten‹ folgen denselben Regeln wie bei der Fahrlässigkeit im Allgemeinen (s Karlsr NJW 05, 989, 990 f [OLG Karlsruhe 14.09.2004 - 8 U 97/04] [Autohändler betreffend die Eigentumslage des KFZ]; BayVGH BayVBl 13, 473 Rz 16 [Verlauf der Grundstücksgrenze]). Zumutbare Anstrengungen der Selbstvergewisserung schließen dabei ggf auch Nachfragen beim Gläubiger ein (BGH NJW 11, 2120 [BGH 10.02.2011 - VII ZR 53/10] Rz 17 f [Untätigkeit des Bürgen bei unzureichender Information durch den Gläubiger]). Bei Rechtsirrtümern sind die Anforderungen an die Entlastung hoch: Zwar entlastet der trotz Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt – iSe sorgfältigen Prüfung der Plausibilität des eigenen Rechtsstandpunktes (BGH NJW 14, 2717 Rz 33) – vorliegende Rechtsirrtum (RGZ 146, 133, 144 f; 156, 113, 120; BGHZ 17, 266, 295; BGH NJW 11, 3229 Rz 12; BAG NZA 08, 1285 Rz 47), und zwar insbes, wenn die Rechtslage bes zweifelhaft und schwierig ist (BGH NJW 14, 2947 [BGH 03.06.2014 - XI ZR 147/12] Rz 24); jedoch ist die Unkenntnis einschlägiger Rechtsvorschriften oder des Vertragsinhalts stets als fahrlässig anzusehen (Staud/Löwisch/Caspers [2009] § 276 Rz 61 f; idS auch BGH NZS 14, 470 Rz 13). Bei Rspr-Änderungen ist eine Entlastung aber möglich (BGHZ 145, 265; BGH NJW 11, 3229 Rz 12; BAG BeckRS 15, 71456 Rz 32 [vorherige Entscheidung zu ähnlicher Sachlage]; OVG Lüneburg DVBl 11, 582 L). Auch die Unkenntnis einer ständigen Rspr zu einer komplizierten Rechtslage begründet nicht notwendig Fahrlässigkeit (BGH NJW 09, 2590 [BGH 27.05.2009 - VIII ZR 302/07] Rz 11 ff [handschriftliche Endrenovierungsabrede nur als AGB unwirksam und als AGB qualifiziert]). Bei einer zweifelhaften Rechtsfrage handelt bereits fahrlässig, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss (BGH NJW 98, 2144 [BGH 18.12.1997 - I ZR 79/95]; BGH NJW 15, 2419 Rz 63). Der Schuldner darf nicht das Risiko einer zweifelhaften Rechtslage dem Gläubiger zuschieben (BGH, GRUR 87, 564, 565; BGH NJW 07, 428 Rz 25; BGH ZIP 15, 2217 Rz 38; BGH NJW 15, 2419 Rz 63). Erforderlichenfalls muss der Schuldner Rechtsrat einholen (BGH NJW 14, 2914 Rz 14); für Fehler des Ratgebers gilt § 278 (s § 278 Rn 25). Diese strengen Anforderungen gelten auch iRd §§ 543 II 1 Nr 3, 286 IV für den Mieter (BGH NJW 12, 282 Rz 19 f [Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen des Minderungsrechts]). Dem Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft wird unter Verweis auf einen ›Beurteilungss...