Rn 19
Wie beim Rücktritt ist die Liste der Entbehrlichkeitsfälle beim Schadensersatz statt der Leistung nicht abschließend. Dies verdeutlicht die Generalklausel in § 281 II Alt 2. Sie erklärt die Fristsetzung in solchen Fällen für entbehrlich, die dem Gewicht der Störung nach den geschriebenen Fällen gleichkommen. Anders als bei § 323 II Nr 3 gilt die Generalklausel auch für die Fälle der Nichterfüllung (dazu Riehm NJW 14, 2065). Ein Interesseverlust des Gläubigers iSv § 286 II aF ist dafür ausreichend, (s Celle ZGS 06, 428, 429 [in concreto verneint]) aber nicht erforderlich (zumindest missverständlich Ddorf BB 06, 1329, 1331). Das arglistige Verschweigen eines Mangels genügt ebenfalls, weil dann die für die weitere Erfüllung des Vertrags erforderliche Vertrauensbasis entfallen ist (BGH NJW 07, 835, 836 f; zum arglisten Verschweigen des Herstellers, der nicht Vertragspartner ist s BGH ZIP 21, 2335).
Rn 20
In Anwendung der Generalklausel lassen sich solche Fälle bewältigen, für welche beim Rücktrittsrecht die Entbehrlichkeit der Fristsetzung gesichert ist: Das gilt insbes für das Fixgeschäft, welches in § 281 II anders als in § 323 II Nr 2 keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat (Jaensch NJW 03, 3613, 3614 f; Hopt HGB § 376 Rz 11; aA MüKo/Ernst § 281 Rz 64; Grüneberg/Grüneberg § 281 Rz 15). Auch insoweit greift die generelle Überlegung, dass die Entbehrlichkeit der Fristsetzung beim Rücktritt erst recht geeignet sein muss, den Vorrang der Erfüllung vor dem Schadensersatz zu beseitigen; das gilt richtigerweise auch für die richtlinienkonforme Konkretisierung von § 323 II Nr 2 im Hinblick auf Art 18 VRRL (anders Riehm NJW 14, 2065, 2067). Die Bindung des ›Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung‹ hat die Rspr früher mit der einprägsamen Formel umschrieben, der Vertrag solle mit der Rechtzeitigkeit ›stehen oder fallen‹ (BGHZ 110, 88, 96f). Standardfall eines solchen Fixgeschäfts ist der Verkauf von Saisonware, die nicht rechtzeitig – schlimmstenfalls nach Saisonende – geliefert wird. Dasselbe gilt etwa für Termingeschäfte (RGZ 108, 156, 158). Außerdem kann sich der Fixcharakter eines Geschäfts auch aus entspr Vereinbarungen, insb aus entspr Klauseln (fix, präzis, prompt), ergeben. Hierher gehört auch der im Regierungsentwurf angesprochene Fall des Just-in-time-Vertrags (BTDrs 14/6040, 140; Celle ZGS 06, 428, 429 [in concreto verneint]). Die frühere Unterscheidung zwischen relativem Fixgeschäft (§ 361 aF) und dem absoluten Fixgeschäft (§§ 275, 323 aF) ist heute ohne praktischen Belang: Auf die Nachholbarkeit der Leistung zu einem späteren Termin kommt es für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung nicht an. Eine Sondervorschrift für den Handelskauf enthält § 376 HGB (dazu Herresthal ZIP 06, 883 ff). Hinsichtlich des Rücktritts unterscheidet sich die Vorschrift va dadurch, dass der Gläubiger auch ohne Rücktritt seinen Erfüllungsanspruch verliert, wenn er sein Bestehen auf der Erfüllung nicht rechtzeitig nach § 376 I 2 HGB anzeigt.
Rn 21
In Umsetzung der RL 2019/770/EU besteht kein Fristsetzungserfordernis zugunsten von Verbrauchern bei Nicht- oder Schlechtbereitstellung digitaler Produkte (s hierzu Rn 2 und 5). Bei Verbrauchsgüterkäufen fordert die RL 2019/770/EU, wie schon die durch sie abgelöste RL 1999/44/EG (bezogen auf den Rücktritt) ebenfalls keine Fristsetzung. § 475d I setzt dies nun auch mit der notwenigen Klarheit um. Um einen Gleichlauf von Rücktritts- und Schadensersatzvoraussetzungen zu erzielen, gilt dies als Ergebnis überschießender Umsetzung gem § 475d II auch für den Schadensersatzanspruch (s Rn 2 und 5 sowie BTDrs 19/27424, S 39). Die zuvor nach einer Antwort verlangende Frage, ob § 323 II Nr 3 bei Verbrauchsgüterkäufen richtlinienkonform auszulegen ist und ob dies eine Ausstrahlungswirkung auf § 281 II Alt 2 hat, hat sich damit erledigt.
Rn 22
Ein weiterer Grund für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung kann auch in dem Umstand liegen, dass der mit der Fristsetzung verbundene Zeitverlust mit dem Risiko eines wesentlich größeren Schadens verbunden ist (BGH ZGS 05, 433, 434; Grüneberg/Grüneberg § 281 Rz 15). Das gilt etwa für den Fall des ins Ausland verzogenen Schuldners (Köln NJW-RR 03, 802 [OLG Köln 08.11.2002 - 19 U 137/01]) oder den der verspätungsbedingten Nichtabnahme von Ware durch die Abnehmer des Gläubigers, so der Weiterverkauf dem Vertrag zugrunde lag (s BGH NJW-RR 98, 1489, 1491 [BGH 10.03.1998 - X ZR 7/96]). Auch die Fälle drohender hoher Verzögerungsschäden gehören hier her (aA Haberzettl NJW 07, 1328, 1330, der §§ 280 II, 286 anwenden will). Die (Putativ-)Lebensgefahr für ein zuvor gekauftes Tier rechtfertigt eine tierärztliche Notfallbehandlung ohne Fristsetzung im Blick auf die Infektion (BGH ZGS 05, 433 f; BGH ZGS 06, 113, 114), nicht jedoch soweit kein Notfall vorliegt (BGH NJW 06, 988, 989); bei einmal legitimerweise begonnener Behandlung muss der Tierarzt auch nicht mehr gewechselt werden (BGH ZGS 05, 433, 434). Der Umstand allein, dass ein Tier, welches nicht aus w...