Rn 26
Um einen Schadensersatz statt der ganzen Leistung geht es immer dann, wenn der verlangte Schadensersatz über das Maß der Pflichtverletzung hinaus auf das Schuldverhältnis ausgreift (s Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 631). Die entscheidende Sachfrage ist also, inwieweit auch solche Teile des Schuldverhältnisses, die von der Pflichtverletzung nicht unmittelbar betroffen sind, durch diese ›kontaminiert‹ werden (s § 280 Rn 52, 56). Die verbreitete Gleichsetzung des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung mit dem herkömmlichen ›großen Schadensersatz‹ ist irreführend (s § 280 Rn 53).
I. Voraussetzungen.
Rn 27
Der Schadensersatz statt der ganzen Leistung setzt wie der statt der Leistung und §§ 280 I, II, 286 voraus, dass der Tatbestand des § 280 I erfüllt ist. Da mit ihm – zumindest hinsichtlich der weiteren Teile des Schuldverhältnisses – Schadensersatz anstelle der Erfüllung in Natur verlangt wird, müssen außerdem jedoch immer die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung erfüllt sein. Kern der Regelungen zu den Voraussetzungen der Ersatzfähigkeit ist die Schwelle, deren Übersteigen es erlaubt, andere Teile des Vertrags in die Schadensabrechnung einzubeziehen:
1. Partielle Störung.
Rn 28
Die Grundregel enthält § 281 I 2: Bei nur tlw Verletzung des Pflichtenprogramms kommt Schadensersatz statt der ganzen Leistung nur in Betracht, soweit der Gläubiger an den übrigen Teilen des Pflichtenprogramms kein Interesse hat. Dieses zusätzliche Erfordernis kann auf den Grundgedanken zurückgeführt werden, der auch der Regelung des Rücktrittsrechts für diese Situationen zugrunde liegt (§ 323 V 1, Rn 39): Liquidation des ganzen Erfüllungsinteresses, dh Schadensersatz statt der ganzen Leistung (und nicht nur wegen der Teilstörung) kann nur verlangt werden, wenn die Pflichtverletzung hinreichend schwerwiegend ist.
Rn 29
Nach verbreiteter Auffassung setzt § 281 I 2 Teilbarkeit der Leistung und der Gegenleistung voraus (s BGH NJW 00, 1256 [BGH 21.01.2000 - V ZR 387/98]; Kobl NJW-RR 92, 689 [OLG Koblenz 04.10.1991 - 2 U 403/88]; Huber/Faust 128; Jauernig/Stadler § 281 Rz 21). Diese Auffassung ist freilich überholt, weil es nur um die Unterscheidbarkeit verschiedener Pflichten geht. Auch bei Unteilbarkeit bestimmt das Kriterium nach § 281 I 2 über die Berechtigung zum Schadensersatz statt der ganzen Leistung. Dementspr kommt es beim einfachen Schadensersatz statt der Leistung auch nicht zu einer Auftrennung (vgl zum alten Recht BGHZ 36, 316, 318).
Rn 30
Das maßgebende Kriterium ergibt sich aus der Interessenlage des Gläubigers, soweit sie auf der Basis des Vertragsinhalts legitimerweise berücksichtigungsfähig ist. Am Interesse des Gläubigers kann es etwa fehlen, wenn der vertragsgemäß durchgeführte Teil allein funktionslos ist (BGH NJW 90, 2549 [Überwachungslücken bei beauftragtem Privatdetektiv]; BGH NJW 90, 3011 [BGH 07.03.1990 - VIII ZR 56/89] [EDV-Anlage ohne Software]) oder wenn ein vollständiger Neuabschluss des Vertrages für ihn günstiger ist (BGH NJW 90, 2549, 2550 [BGH 22.05.1990 - IX ZR 208/89]).
Rn 31
Ein praktisch bedeutsamer Fall des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung ist der Kündigungsschaden, der bislang nur vereinzelt (§ 628 II, § 89b II HGB; § 314 IV verweist lediglich) geregelt ist. § 281 I 2 erlaubt seine Abrechnung ohne Erklärung der Kündigung, wobei das Verlangen nach § 281 IV an die Stelle der Kündigungserklärung tritt. Die zu beendigenden Dauerschuldverhältnisse (auch Sukzessivlieferungsverträge) werden in aller Regel bis zum Kündigungszeitpunkt vollständig aufrechterhalten, weil kein Interessenverlust für die Vergangenheit eintritt. Soweit für die Kündigung zusätzliche Voraussetzungen gelten (vgl §§ 623, 626 II, KSchG) sind diese auch Voraussetzungen des wirksamen Schadensersatzverlangens und in § 281 hineinzulesen.
2. Sonderfall: Leistung ›nicht wie geschuldet‹.
Rn 32
§ 281 I 3 enthält eine Regelung für den Fall, dass der Schuldner die ›Leistung nicht wie geschuldet bewirkt‹. Ausgeschlossen ist der Schadensersatz statt der ganzen Leistung in diesen Fällen nur dann, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist; dadurch legt das Gesetz die Latte erheblich niedriger als in § 281 I 2. Über die Unerheblichkeit ist durch eine umfassende Abwägung der beteiligten Interessen – auch der des Schuldners – zu entscheiden (BGH NJW 13, 1431 Rz 41). Die Schwelle ist jedenfalls deutlich höher anzusetzen als bei § 459 I 2 aF (Ddorf MDR 06, 442, 443; Bambg DAR 06, 456; Reinking/Eggert Autokauf Rz 1440). Anwendungsfälle der Unerheblichkeit sind gleichwohl selten: Der Maßstab ist objektiv, wobei zu fragen ist, ob Marktteilnehmer in Kenntnis der Mangelhaftigkeit vom Vertrag typischerweise Abstand nehmen würden (BGH NJW 09, 508 [BGH 05.11.2008 - VIII ZR 166/07]; restriktiver Jud Schadensersatz bei mangelhafter Leistung 297 f [›Was kein vernünftiger Mensch als Mangel empfindet‹]; zu ersten öst Entscheidungen s Jud GPR 06, 72f). Genannt werden etwa Mängel an leicht austauschbaren Zubehörteilen oder Ausstattungsgegenständen (s Grüneberg/Grüneberg § 281 Rz 48). Für den Gebrauchtwagenkauf so...