Rn 1
§ 291 stellt eine selbständige, neben § 288 tretende Anspruchsgrundlage dar. Prozesszinsen sind kein Unterfall des Verzugszinses, vielmehr wird der Schuldner deshalb einer Zinspflicht unterworfen, weil er es zum Prozess hat kommen lassen und für das damit verbundene Risiko einstehen soll (BGH NJW 06, 2472, 2474 f [BGH 04.04.2006 - X ZR 122/05]; BAG AP ZPO § 322 Nr 42 Rz 11 [reiner Risikozuschlag]). Die Vorschrift begründet eine prozessuale Nebenforderung (BAG AP Nr 42 zu § 322 ZPO Rz 11; MüKo/Ernst § 291 Rz 1). Im Gegensatz zu § 288 kommt es daher nicht auf den Verzug des Schuldners, sondern auf die Rechtshängigkeit des Anspruchs des Gläubigers an; unabhängig von den technischen Voraussetzungen des Verzugs muss sich hiernach der Schuldner, der es zu einem Prozess hat kommen lassen, so behandeln lassen, als ob er mit der Leistungserbringung vorwerfbar säumig ist (Schlechtriem/Schmidt-Kessel SchuldR AT Rz 680). Trotz der Eigenständigkeit ergibt sich aus der Vorschrift nur selten ein über § 288 hinausgehender Anspruch, da sich der Schuldner nach § 286 I 2 idR spätestens mit Rechtshängigkeit auch im Verzug befindet und der Gläubiger für den gleichen Zeitraum Verzugs- und Prozesszinsen nicht verlangen kann (RGZ 92, 283, 285; Saarbr NJW-RR 87, 470, 471). Relevanz hat § 291 deshalb nur für die Fälle, in denen der Schuldner die Verspätung der Leistung (zB wegen eines entschuldbaren Rechtsirrtums) nicht zu vertreten hat (§ 286 IV Rn 24) sowie bei der Klage auf künftige Leistung gem § 257 ZPO, die noch keinen Verzug begründet hat (Grüneberg/Grüneberg § 291 Rz 1). Die praktische Relevanz ergibt sich jedoch zusätzlich daraus, dass die Anforderungen an einen substantiierten zusätzlichen Tatsachenvortrag denkbar gering sind.
Rn 2
Zusätzliche praktische Bedeutung hat § 291 durch den Übergang zum neuen Schuldrecht erhalten, weil insoweit eine Anwendung des neuen Zinssatzes des § 288 II auch auf altrechtliche Schuldverhältnisse in Betracht kommt (dazu erstmals Wilske/Schweda MDR 06, 191). In manchen Fällen ist sogar eine Anwendung von § 288 I auf Prozesszinsen aus Forderungen denkbar, die vor dem 1.5.00 respective vor dem 29.7.14 fällig geworden sind. Zur Wahl stehen drei Lösungen: (1) Sieht man in § 291 eine (rein) prozessuale Vorschrift, kommt die Neufassung nach den allgemeinen intertemporalen Regeln für Verfahrensvorschriften (MüKoZPO/Lüke Einl Rz 291; Stein/Jonas/Brehm vor § 1 Rz 119) ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens für alle schwebenden Verfahren zur Anwendung; die Zinssätze nach der jeweils neuen Fassung von § 288 wären dann unabhängig vom geltend gemachten Anspruch einschlägig. (2) Sieht man in § 291 eine Regel der materiellen Risikoverteilung innerhalb des der Klage zugrunde liegenden Schuldverhältnisses für den Rechtshängigkeitsfall, richtet sich die Anwendung der aktuellen Zinssätze danach, ob, respektive, ab wann das zugrunde liegende Schuldverhältnis in Anwendung von Art 229 §§ 5, 34 EGBGB dem dann maßgebenden Verzugsrecht unterliegt. (3) Richtigerweise kommt es jedoch nicht auf das zugrunde liegende Schuldverhältnis an, vielmehr kommen §§ 291, 288 (bisherige Fassung, 5 % und 8 %) auf alle ab dem 1.1.02 (Art 229 § 5 S 1 EGBGB) und §§ 291, 288 nF (9 % für unternehmerischen Geschäftsverkehr) auf alle ab dem 29.7.14 rechtshängig gewordenen Ansprüche zur Anwendung. Seit dem 1.1.03 galten die bisherigen Zinssätze auch für bereits früher rechtshängig gewordene Ansprüche (vgl Wilske/Schweda MDR 06, 191, 193 f, die offenbar §§ 291, 288 nF für alle rechtshängigen Ansprüche ab 1.1.02 zur Anwendung bringen wollen) und entsprechend kommt der neue Zinssatz für den unternehmerischen Geschäftsverkehr bei Rechtshängigkeit vor dem 29.7.14 ab dem 1.7.16 zur Anwendung. Das (materielle) Prozessrechtsverhältnis ist nämlich ein eigenständiges (insoweit zutr Wilske/Schweda MDR 06, 191, 193f) Dauerschuldverhältnis iSv Art 229 § 5 2 EGBGB. Zugleich lässt sich diese Lösung als eine durch Vertrauensschutz gerechtfertigte Ausnahme von der allgemeinen Regel des intertemporalen Prozessrechts (Lösung [1]) begreifen. Für die Änderungen durch die Umsetzung der RL 2011/7/EU gilt – vorbehaltlich ausdrücklicher Regelung – entspr.
Rn 3
Die Anwendbarkeit der Vorschrift bei Auslandsberührung ist dementsprechend umstritten: In der Literatur wird verschiedentlich eine materiell-rechtliche Qualifikation im Sinne der Zugehörigkeit zum Schuldstatut angenommen (MüKo/Ernst § 291 Rz 5; Reithmann/Martiny Rz 187; Gruber DZWir 96, 169 ff; dagegen Prell JR 12, 179 ff), während die Rspr überwiegend die lex fori für einschlägig hält (Frankf NJW-RR 07, 1357, 1358 [OLG Karlsruhe 18.04.2007 - 7 U 73/06]; Ddorf MDR 2000, 575, 576). Die Einordnung von § 291 als Teil des materiellen Prozessrechtsverhältnisses spricht für letztere Auffassung, wobei freilich im Geltungsbereich der ROM I oder der ROM II letztlich der EuGH zu entscheiden hätte.