Prof. Dr. Klaus Peter Berger
Rn 18
II enthält Regelbeispiele für eine unangemessene Benachteiligung iSv I (BGHZ 153, 155). Die Unwirksamkeit entfällt ausnahmsweise dann, wenn eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt, dass die Klausel den Kunden nicht unangemessen benachteiligt (BGH NJW 03, 1447 [BGH 28.01.2003 - XI ZR 156/02]; Grüneberg/Grüneberg § 307 Rz 28).
Rn 19
Wie bei I (s Rn 11) trägt der Vertragspartner des Verwenders die Beweislast dafür, dass ihn die Klausel unangemessen benachteiligt. Anders als bei I begründen die Regelbeispiele aber eine widerlegbare Vermutung der unangemessenen Benachteiligung (BGHZ 153, 155; WM 05, 276).
I. Unvereinbarkeit mit gesetzlichem Leitbild (Nr 1).
1. Gang der Prüfung.
Rn 20
Die Prüfung hat in drei Schritten zu erfolgen. Zunächst ist das durch wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung bestimmte gesetzliche Leitbild zu ermitteln (vgl zum Leitbild des Kaufvertrages BGH NJW 81, 117; des Internet-System-Vertrages BGH NJW 10, 1449; des Kfz-Versicherungsvertrages BGH ZIP 2011, 2261; des Maklervertrages BGH WM 70, 392; des Mietvertrages Hamm NJW 81, 1049; der Rücktrittsfolgen beim Mietvertrag BGH NJW 09, 577 [BGH 29.10.2008 - VIII ZR 258/07]; des Automatenaufstellvertrages BGH MDR 21, 92 [BGH 07.10.2020 - XII ZR 145/19]; des Partnerschaftsvermittlungsvertrages BGH NJW 89, 1479 [BGH 01.02.1989 - IVa ZR 354/87]; Niebling MDR 15, 6; des Tankstellenverwaltervertrages BGH NJW 10, 1275 [BGH 14.10.2009 - VIII ZR 96/07]; des Telefonbuch-Werbevertrages BGH NJW-RR 03, 836 [BGH 24.09.2002 - KZR 38/99]; des Veranstaltungsvertrages über die Bereitstellung von Ferienunterkünften BGH NJW 92, 3160; des Mobilfunkvertrages BGH WM 11, 1678; NJW 02, 2386; des Vergleichs BAG NZA 17, 1058 Rz 74). Es wird bestimmt durch dispositive gesetzliche Bestimmungen, soweit diese nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhen, sondern dem Gerechtigkeitsgebot als dem Bedürfnis nach angemessenem Schutz des Vertragspartners Ausdruck verleihen (BGHZ 89, 210; NJW 99, 635). Dispositive Regelungen idS sind nicht nur Gesetze im formellen und materiellen Sinn sowie das Gewohnheitsrecht und die durch Analogie und Rechtsfortbildung entwickelten Rechtssätze (va bei Verträgen ohne gesetzliches Leitbild, BGH NJW 84, 1186 [BGH 16.01.1984 - II ZR 114/83]), sondern auch das Richterrecht und die dem Gerechtigkeitsgebot entspr allg anerkannten Rechtsgrundsätze (BGHZ 93, 362 f; NJW 23, 1356 Rz 27). Ein solcher Grundsatz ist etwa das Prinzip, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz regelmäßig nur bei schuldhaftem Verhalten besteht (BGHZ 115, 42; NJW 92, 3161), das in §§ 320 ff manifestierte Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung (BGHZ 96, 109; NJW 01, 2637) und das Gegenseitigkeitsverhältnis von Leistung u Gegenleistung (BGH VuR 09, 72) sowie die Pflicht, eigene gesetzliche Verpflichtungen zu erfüllen und Tätigkeiten im ausschl eigenen Interesse durchzuführen, ohne hierfür ein spezielles Entgelt verlangen zu können (BGH ZIP 17, 2343 Rz 28; NJW 01, 1419; s Rn 10). Die auf der zweiten Stufe vorzunehmende Prüfung der ›Abweichung‹ erfolgt wie die iRv I vorzunehmende Prüfung der Benachteiligung (Staud/Wendland § 307 Rz 243), s Rn 8. Die abschließende Prüfung der Unvereinbarkeit mit dem gesetzlichen Leitbild ist durch die Abweichung vom gesetzlichen Gerechtigkeitsmodell ›vorbelastet‹ (Stoffels Rz 518). Je nach Gerechtigkeitsgehalt der betr Normen bedarf es eines mehr oder weniger starken Interesses des Verwenders, um die Klausel dennoch als wirksam anzusehen (BGH NJW 90, 2065 [BGH 17.01.1990 - VIII ZR 292/88]). Klauseln, die gegen zwingendes Recht verstoßen, benachteiligen den Kunden stets zugleich unangemessen nach § 307 I, II Nr 1 (BGH NJW 23, 2338 [BGH 04.05.2023 - III ZR 88/22] Rz 13).
2. Beispiele.
Rn 21
Unvereinbar +, nicht –: Abbedingung von § 195 (+BGH NJW 13, 525; –BGH NJW 15, 2571 [BGH 21.04.2015 - XI ZR 200/14]); § 199 I (+Celle GWR 20, 290; –Frankf NJW 12, 2975); § 269 (+BGH NJW 14, 454); §§ 280 I 2, 286 IV (+BGH ZIP 17, 2363 Rz 24; NJW 21, 1392 Rz 39; zu Höhere-Gewalt-Klauseln v Westphalen ZIP 20, 2037), § 286 III 1 (+Köln MDR 06, 808; Stoffels Rz 521; str), § 305 II, 311 I (+BGH NJW 21, 2273 [BGH 27.04.2021 - XI ZR 26/20]), §§ 311 II, 313 (–BGH NJW 93, 2738f [BGH 08.07.1993 - VII ZR 79/92]), § 312a III 1 (+Kobl NJW-RR 19, 1140 [OLG Frankfurt am Main 05.06.2019 - 17 U 95/18] betr Trinkgeld auf Kreuzfahrt), § 313 (+BGH NJW 17, 2762 [BGH 19.07.2017 - VIII ZR 278/16] Rz 23); § 314 (+BGH NJW-RR 03, 1638 [BGH 20.05.2003 - KZR 19/02]), § 320 (+BGH NJW 13, 1431 [BGH 07.03.2013 - VII ZR 162/12]; NJW-RR 05, 919), § 321 (+BGH NJW 85, 1220 [BGH 26.11.1984 - VIII ZR 188/83]), § 323 II (+BGH NJW 13, 3022), § 340 II (+BGH NJW 75, 163 [BGH 27.11.1974 - VIII ZR 9/73]), § 341 III (+München BB 84, 1386), §§ 346 ff (+BGH NJW 09, 577); §§ 355 II, 360 I (+BGH ZIP 14, 1485), § 366 (–BGHZ 91, 380), § 404 (+Stuttg NJW 19, 2708 Rz 80 im B2B-Verkehr), § 439 II (+BGH NJW 96, 389), § 446 (+BGH NJW 14, 454); § 448 (+BGH ZIP 18, 1934 Rz 23); § 449 II (+BGH NJW-RR 08, 818); § 478 (+BGH NJW 06, 05), § 488 I 2 (+BGH ZIP 17, 2343 Rz 29; NJW 17,...