Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 48
In der zweiten Untergruppe von o Rn 41 weiß der andere Teil, dass der Vertrag noch nicht geschlossen ist, zB weil es noch an der Einhaltung einer Form fehlt. Er vertraut aber auf den erfolgreichen Abschluss der schon weit fortgeschrittenen Verhandlungen und macht Aufwendungen. Hier soll es uU Ersatzansprüche aus cic geben, gestützt auf einen unbegründeten Verhandlungsabbruch. Ausgangspunkt ist jedoch: Die Vertragsfreiheit umfasst in aller Regel das Recht, den in Aussicht genommenen Abschluss noch zu verweigern. Der Aufwand des anderen Partners in Erwartung des Abschlusses wird daher nicht ersetzt (BGH NJW 01, 2713, 2714 [BGH 23.05.2001 - IV ZR 62/00] mN; Ddorf NJW-RR 20, 402 [OLG München 18.12.2019 - 7 U 898/19]). Andernfalls könnte jeder Verhandlungspartner den anderen durch Aufwand in eine Ersatzpflicht zwingen. Generell folgt aus II Nr 1 iVm § 241 II mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen das Gebot des fairen Verhandelns (BAGE 165, 315 [BAG 07.02.2019 - 6 AZR 75/18] Rz 31; BAG NZA 22, 779 [BAG 24.02.2022 - 6 AZR 333/21] Rz 22 ff).
Rn 49
Eine Bindung durch die Vertragsverhandlungen besteht ausnahmsweise nur, wenn der Vertragsschluss nach den Verhandlungen zwischen den Parteien als sicher anzunehmen ist und im Vertrauen hierauf Aufwendungen gemacht worden sind (BGHZ 76, 343, 349; BGH NJW 96, 1884, 1885). Diese Bindung bedeutet aber keinen Kontrahierungszwang, sondern erzeugt nur eine Pflicht zum Ersatz der frustrierten Aufwendungen (u Rn 52). Zudem entfällt die Ersatzpflicht, wenn für den Verhandlungsabbruch ein triftiger Grund besteht. Hieran sind keine strengen Anforderungen zu stellen. So mag schon ein günstigeres Angebot von dritter Seite genügen (Grüneberg/Grüneberg Rz 32). Bei einem Grundstückskaufvertrag löst die Verweigerung der Mitwirkung an der Beurkundung durch einen Verhandlungspartner wegen § 311b Ersatzansprüche nur dann aus, wenn eine besonders schwerwiegende, in der Regel vorsätzliche Treuepflichtverletzung vorliegt. Eine solche ist bspw beim Vorspiegeln einer tatsächlich nicht vorhandenen Abschlussbereitschaft oder auch dann gegeben, wenn ein Verhandlungspartner zwar zunächst verkaufsbereit war, im Verlaufe der Verhandlungen aber innerlich von dieser Bereitschaft abgerückt ist, ohne dies zu offenbaren (BGH WM 18, 688 Rz 6). Ein Widerruf des Verbrauchers, der ja sogar nach dem Vertragsschluss keiner Begründung bedarf (§ 355 I 2), kann ohnehin nicht zu einer Ersatzpflicht führen (BGHZ 131, 1, 3).
Rn 50
Das Vertrauen in den Abschluss kann insb begründet werden, indem der Abschluss als sicher hingestellt wird (BGH NJW-RR 89, 627) oder Vorleistungen des anderen Teils veranlasst werden (BGHZ 92, 164, 175: Planungskosten) oder wenn die Parteien mit der Ausführung des Vertrages beginnen (BGH LM § 276 [Fa] Nr 11). Auch ein Letter of Intent (grundlegend dazu Lutter, Der Letter of Intent, 3. Aufl 98) kann bei entspr Inhalt ein Vertrauen auf den Abschluss begründen (vgl Bergjan ZIP 04, 395).
Rn 51
Gesetzliche Formvorschriften hindern grds eine formlose Bindung nach Rn 49. Denn sie dienen va dem Übereilungsschutz. Dieser Zweck wäre beeinträchtigt, wenn die Verhandlungen schon vor Erfüllung der Form Verpflichtungen (zum Aufwendungsersatz) begründen könnten. Davon geht auch der BGH aus. Er macht aber eine Ausnahme bei schwerwiegenden (idR vorsätzlichen) Verstößen gegen die Pflicht zu redlichem Verhalten, insb auch bei Gefährdung der Existenz des anderen Teils (BGH NJW 13, 928 [BGH 09.11.2012 - V ZR 182/11] Rz 7 f mN).
Rn 52
Rechtsfolge ist in erster Linie eine Pflicht zum Ersatz der durch den Verhandlungsabbruch frustrierten Aufwendungen. Doch müssen diese nach der Entstehung des Vertrauenstatbestands gemacht worden sein, weil sonst die haftungsbegründende Kausalität fehlt.
Rn 53
Darüber hinaus kann das Vertrauensinteresse aber auch entgangenen Gewinn umfassen, nämlich aus Geschäften, die der Geschädigte im Vertrauen auf die Wirksamkeit des ersten Geschäfts nicht abgeschlossen hat. Dieser Posten wird neben den Aufwendungen oft nicht erwähnt, auch er ist aber ersatzfähig (etwa BGH NJW 84, 866, 867). Dieser Schadensposten kommt ebenfalls bei bloßen Verzögerungen des Abschlusses in Betracht (BGH aaO). Vereinzelt erwägt der BGH (etwa BGHZ 120, 281; 168, 35) einen Anspruch auf das positive Interesse, nämlich wenn bei pflichtgemäßem Verhandlungsverhalten der Vertrag zustande gekommen wäre. Ein anspruchsminderndes Mitverschulden nach § 254 kommt va in Betracht, wenn die Vertrauensgrundlage brüchig war oder die Aufwendungen unnötig hoch waren.