Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 14
Die Bedeutung dieses Tatbestandselements ist wenig klar. Nach der Gesetzesbegründung (BTDrs 14/2658, 30) muss der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen haben, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz durchzuführen. Die nur vereinzelte Durchführung genügt also nicht (›System‹; Bsp Brandbg NJW 23, 927 [OLG Brandenburg 10.11.2022 - 12 U 69/22]): Es sollen nicht Unternehmer, die Verträge gewöhnlich in ihrem Ladenlokal abschließen, durch die Pflichten, die den Unternehmer bei Abschluss eines Vertrags über Fernkommunikationsmittel treffen, abgehalten werden, ausnahmsweise auf Bestellung zu liefern (HK-BGB/Schulte-Nölke Rz 6). Doch sind an die Annahme eines solchen Vertriebs- oder Dienstleistungssystems insgesamt keine hohen Anforderungen zu stellen (BTDrs 17/12637, 50; ebenso BGH NJW 21, 304 [BGH 19.11.2020 - IX ZR 133/19] Rz 13). Auf diese zu § 312b aF entwickelten Grundsätze kann nach wie vor zurückgegriffen werden, da mit der Änderung des § 312b aF (dazu bereits Rn 1 ff) insoweit keine Änderung inhaltlicher Art verbunden sein sollte (vgl BTDrs 17/12637, 50). Steht fest, dass der Unternehmer sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch für den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet hat, wird nach I widerleglich vermutet, dass der Vertrag iR eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist (BTDrs 17/12637, 50). Für die Widerlegung genügt es für sich genommen nicht, wenn ein Unternehmer keinen vorgefertigten Standardbrief, sondern ein individuelles Anschreiben verwendet (BGH NJW 19, 303 [BGH 17.10.2018 - VIII ZR 94/17]). Wird der Nachweis geführt, dass der Vertrag trotz ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Einzelfall nicht iRd bestehenden Fernabsatzsystems geschlossen worden ist, genügt dies zur Erschütterung der Vermutung (MüKo/Wendehorst Rz 28; aA Buchmann K&R 14, 369, 371; Markworth AnwBl 18, 214, 217; offengelassen von BGH NJW 21, 304 [BGH 19.11.2020 - IX ZR 133/19] Rz 17).
Rn 15
Auch von Dritten angebotene Vertriebs- oder Dienstleistungssysteme, die der Unternehmer nutzt, eröffnen den Anwendungsbereich des § 312c. Hierunter fallen zB Online-Plattformen (zur systematischen Nutzung eines Fahrzeugvermittlungsportals durch einen Gebrauchtwagenhändler Celle NJW 20, 2341). § 312c kommt hingegen nicht zur Anwendung in Fällen, in denen Webseiten lediglich Informationen über den Unternehmer, seine Waren und/oder Dienstleistungen und seine Kontaktdaten anbieten, da hier der Vertragsschluss idR erst im Rahmen des persönlichen Gesprächs zustande kommt (ErwGr 20 VRRL), so für Anwaltsvertrag S. Ernst NJW 14, 817. Welche (Mindest-)Anforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind, ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt (offengelassen in BGH ZIP 18, 279 Rz 20). Es wird jedenfalls dann vorliegen, wenn die Kanzlei so organisiert ist, dass gerade für die erstrebten Mandate typischerweise weder für die Vertragsverhandlungen noch für den Abschluss des Mandatsvertrags eine gleichzeitige, persönliche Anwesenheit von Mandant und Anwalt erfordern und der Anwalt eine Mandatserteilung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Außenverhältnis gegenüber Dritten aktiv bewirbt; der RA ist in dem Fall darlegungs- und beweispflichtig, dass der Vertrag nicht so zustande kam (BGH NJW 21, 304). Die nach Abschluss des Vertrags erfolgende Art und Weise der Leistungserbringung ist hingegen unerheblich BGH NJW 21, 304 [BGH 19.11.2020 - IX ZR 133/19] Rz 14). Für den Immobilienmaklervertrag wurde verbreitet angenommen, dass § 312c keine Anwendung findet (Schleswig SchlHA 15, 397 Rz 47 ff mN). Anders hat aber BGH NJW 17, 1024 [BGH 07.07.2016 - I ZR 30/15] und NJW-RR 17, 368 [BGH 07.07.2016 - I ZR 68/15] entschieden: es komme nicht darauf an, dass die Durchführung eines solchen Maklervertrages nicht auf elektronischem Wege erfolge.