Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 8
Charakteristisch für den Fernabsatzvertrag ist nicht sein Gegenstand, sondern die Art seines Abschlusses: Nach I ist nötig, dass der Unternehmer und der Verbraucher ›für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt‹. Daraus ergeben sich drei Tatbestandsmerkmale:
1. Fernkommunikationsmittel.
Rn 9
Diese werden in II definiert. Es handelt sich danach nicht bloß um neuartige elektronische Mittel, sondern auch um Briefe, Kataloge (Versandhandel!), Werbeprospekte mit Bestellpostkarte (BGH GRUR 19, 961; WM 17, 1474 sowie EuGH 23.1.19, C-430/17 – Walbusch, ECLI:EU:C:2019:47 Rz 30 ff) und Telefonanrufe. Ihnen gemeinsam ist, dass sie eingesetzt werden können, ›ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind‹. Unterschiede bestehen wohl bei der Einordnung eines Boten je nachdem, ob dieser über die Vertragsleistung des Unternehmers Bescheid weiß, vgl BGHZ 160, 393 und MüKo/Wendehorst Rz 14 mit dem zutreffenden Hinweis, dass vielfach ohnehin § 312b eingreifen wird. Im Rahmen der Umsetzung der VRRL (dazu Vor §§ 312 ff Rn 4) wurden SMS als Fernkommunikationsmittel in I aufgenommen (dazu bereits Rn 2).
2. Ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln.
Rn 10
Ausschließlich muss die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln bei den Vertragsverhandlungen sowie beim Vertragsschluss sein, I. Damit ist der Anwendungsbereich des § 312c nicht auf Antrag und Annahme beschränkt, vielmehr spielen auch persönliche Kontakte der Parteien bei der bloßen Anbahnung des Vertrags eine Rolle. Aus ErwGr 20 VRRL, der für die Auslegung des § 312c maßgeblich ist, ergibt sich folgende Differenzierung: Sucht der Verbraucher die Geschäftsräume lediglich zum Zwecke der Information auf, um anschließend den Vertrag aus der Ferne zu verhandeln und abzuschließen, findet § 312c Anwendung. Wird der Vertrag im Gegensatz dazu bereits in den Geschäftsräumen ausgehandelt und letztlich mittels eines Fernkommunikationsmittels nur abgeschlossen, liegt ein Fernabsatzvertrag nicht vor. Das Schutzbedürfnis des Verbrauchers ist in diesem Fall gering, weil er noch Zeit zur Überlegung hatte. Ihn gerade dann durch § 312c zu schützen, wäre sinnlos. Gleiches gilt, wenn der Verbraucher während der Vertragsanbahnung persönlichen Kontakt zu einem Mitarbeiter des Unternehmers oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter hatte (BGH NJW 18, 1387 [BGH 27.02.2018 - XI ZR 160/17] Rz 20). Ob dies auch gilt, wenn nur Kontakt mit einem Kreditvermittler bestand, ist ungeklärt (EuGH-Vorlage München 21.6.22, 32 U 557/22; anh EuGH Rs C-463/22). Anders mag es allenfalls dann sein, wenn eine zeitlich relevante Zäsur zwischen persönlichem Kontakt und Vertragsschluss über Fernkommunikationsmittel liegt (s etwa AG Frankfurt/M MMR 11, 804 zu § 312b aF: mehr als eineinhalb Monate).
Rn 11
Eine entsprechende Frage entsteht bei persönlichen Kontakten der Parteien nach dem vorläufigen Vertragsschluss. Als Bsp sei der Fall genannt, dass ein Reparaturvertrag telefonisch geschlossen wird und dann erst im persönlichen Kontakt geklärt werden soll, ob, wie und zu welchem Preis repariert werden kann. In solchen Fällen einer sukzessiven Konkretisierung des Vertrages wird man die Anwendbarkeit von § 312c gleichfalls zu verneinen haben, wenn vor der endgültigen Festlegung ein persönlicher Kontakt stattgefunden hat. Dies entspricht ErwGr 20 VRRL. Weiterhin hat dies etwa auch Bedeutung für Verträge mit einem Arzt oder Anwalt, bei denen regelmäßig die zu erbringende Leistung gleichfalls erst nach einem persönlichen Kontakt konkretisiert werden kann (verneinend bei Anwaltsverträgen, wenn die persönliche Dienstleistung im Vordergrund steht, AG Charlottenburg NJW-RR 16, 184, 185; anders nun aber BGH ZIP 18, 279 Rz 11 ff; BGH NJW 21, 304 Rz 9). Schließlich sind auch Reservierungen eines Verbrauchers über ein Fernkommunikationsmittel zur Vornahme einer Dienstleistung, wie etwa der Telefonanruf eines Verbrauchers zur Terminvereinbarung mit einem Friseur, nicht als Fernabsatzvertrag anzusehen (vgl ErwGr 20 VRRL).
Rn 12
In Fällen, in denen der Unternehmer den Verbraucher außerhalb seiner Geschäftsräume persönlich und individuell anspricht und es in unmittelbarem Anschluss daran zu einem Vertragsschluss mittels Fernkommunikationsmitteln kommt, gelangt § 312b I 1 Nr 3 zur Anwendung. Ob zusätzlich ein Fernabsatzvertrag vorliegt, ist nach den in Rn 10 f genannten Grundsätzen zu bestimmen. Die Rechtsfolgen bleiben aufgrund des insoweit bestehenden Gleichlaufs von Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (vgl §§ 312d, 312e, 312g und 356) dieselben (näher § 312b Rn 23).
Rn 13
Aus dem Erfordernis, dass bis zum Abschluss des Vertrags ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel zum Einsatz kommen müssen, ergibt sich auch, dass Verträge, die gem den Verordnungen für die Grundversorgung mit Energie, Wasser oder Fernwärme durch bloße Entnahme des Verbrauchers ko...