Prof. Dr. Michael Stürner
Gesetzestext
(1) 1Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. 2Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
(2) 1Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. 2§ 323 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung.
(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.
(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.
A. Funktion.
Rn 1
Bei Dauerschuldverhältnissen (u. Rn 4) wird der Umfang der (meist gegenseitigen) Leistungen vom Zeitablauf bestimmt; sie reichen daher in die Zukunft. Deren Entwicklung kann bei Vertragsschluss idR nur unsicher vorausgesehen werden; bei unveränderter Fortgeltung des Vertrages mag es also ein erhebliches Prognoserisiko geben. Dieses können die Parteien selbst durch Anpassungs- (ggf Neuverhandlungs-)klauseln oder die Vereinbarung kurzfristiger Kündigungsmöglichkeiten abmildern. Andererseits leidet darunter aber die Verlässlichkeit des Vertrages, so dass solche Vereinbarungen häufig unterbleiben.
Rn 2
Um die Bindung an unzumutbar gewordene Dauerschuldverhältnisse erträglich zu machen, hat schon das BGB für Dienstvertrag (§ 626) und Gesellschaft § 725) eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund vorgesehen. Die Rspr hat das unter Berufung auf eine Analogie oder auf § 242 auf andere Dauerschuldverhältnisse erweitert. Diese Rspr sollte durch das SchRModG ohne sachliche Änderung übernommen werden (BTDrs 14/6040, 177). Dahinter steht der allgemeine Grundsatz, dass den Vertragsparteien eines Dauerschuldverhältnisses stets ein Recht zur außerordentlichen Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zustehen muss (BGH NJW 12, 1431 Rz 27; ZIP 16, 1279 Rz 33).
Rn 3
Nach dieser Zweckbestimmung ist § 314 wenigstens in seinem Kern unabdingbar, obwohl der Text das im Gegensatz zu den §§ 565 V, 723 III BGB, 89a I 2 HGB nicht sagt (etwa BeckOGK/Martens Rz 24). Zulässig können aber Vereinbarungen sein, nach denen bestimmte Umstände stets einen wichtigen Grund bilden sollen (BGH NJW-RR 88, 381). Auch kann man einen wichtigen Grund speziell regeln (zB eine Erhöhung der Beschaffungspreise durch eine Anpassungsklausel) und damit insoweit § 314 ausschalten.
B. Anwendungsbereich.
I. Dauerschuldverhältnisse.
Rn 4
Der Begriff Dauerschuldverhältnis stammt aus der Rechtslehre und ist gesetzlich erstmals in den §§ 10 Nr 3, 11 Nr 1 und 12 AGBG aufgenommen worden. Charakteristisch für ein Dauerschuldverhältnis ist: Während seiner Laufzeit entstehen für die Parteien fortlaufend neue Leistungs- und Schutzpflichten; der Gesamtumfang der zu erbringenden Leistung ist also zunächst unbestimmt und hängt von der zeitlichen Dauer ab. Hierzu können insb Miete, Pacht, Leihe, Verwahrung, Gesellschaft (Fleischer/Trinks NZG 15, 289), Versicherungsvertrag, Schiedsvertrag (BGHZ 51, 79, 82), Inhaberschuldverschreibungen (BGH ZIP 16, 1279) gehören, bei unbestimmter Laufzeit auch Dienstvertrag (BGHZ 106, 341, 343), zudem Darlehen (vgl BGH NJW 01, 1136, 1137) und Bürgschaften auf unbestimmte Zeit (BGH NJW 86, 2308, 2309 [BGH 22.05.1986 - IX ZR 108/85]). Weiter kommen auch untypische Verträge als Dauerschuldverhältnisse in Betracht, insb Bierbezugsverträge (BGH LM Nr 10 und Nr 23 zu § 242), Factoring (BGH NJW 80, 44 [BGH 30.11.1978 - II ZR 66/78]), Franchising (BGH NJW 99, 1177 [BGH 17.12.1998 - I ZR 106/96]), Leasing (BGH NJW-RR 98, 123 [BGH 30.07.1997 - VIII ZR 157/96]), Lizenzverträge (BGH NJW-RR 97, 1467 [BGH 29.04.1997 - X ZR 127/95]), Unterrichtsverträge (BGH NJW 85, 2585 [BGH 28.02.1985 - IX ZR 92/84]), Wartungsverträge (zum Facility-Management-Vertrag Najork NJW 06, 2881, 2883), Pflegeverträge (Karlsr NJW-RR 97, 708, 709f), Fitnessstudioverträge (BGH WM 16, 1360 Rz 11; NJW 12, 1431 Rz 27) oder Unterlassungsverträge (BGH NJW 10, 1874 mwN), nicht hingegen der Nießbrauch (BGH NJW 22, 2394).
Rn 5
Ein Vertrag wird aber nicht allein dadurch zu einem Dauerschuldverhältnis, dass er über eine längere Zeit läuft. Das gilt insb für Raten- und Teillieferungsverträge, weil hier der Leistungsumfang von vornherein feststeht, auch bei sukzessiver Lieferung (vgl BGHZ 81, 90, 91 für einen Strombezugsvertrag als Sonderkundenvertrag). Anders ist es dagegen bei einem Dauerlieferungsvertrag, nach dem ein im Umfang noch unbestimmter Bedarf gedeckt werden soll: Hier hängen der Bedarf und damit auch der Leistungsumfang von der Zeitdauer ab. Hierunter fallen insb die Verträge über die Lieferung von Gas, Wasser, Elektrizität, Fernwärme oder elektronische Leistungen (Telefon usw). Näher zu solchen ›Bezugsverträgen‹ Limbach Der Leistungsabru...