Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 34
Anschließend an die konkreteren Tatbestände der Erfüllungsverweigerung und des Fixgeschäfts bringt II Nr 3 noch eine Generalklausel, gekennzeichnet durch eine Abwägung der beiderseitigen Interessen (ähnl §§ 281 II Alt 2, 286 II Nr 4). Als Anwendungsbsp wird in der Begründung das Just-in-time-Geschäft genannt (BTDrs 14/6040, 140). Doch ist dies wohl eher bei Nr 2 unterzubringen. In der Lit dominiert meist der Hinweis auf einen Interesseverlust des Gläubigers wegen einer Leistungsverzögerung (früher § 326 II aF), etwa MüKo/Ernst Rz 129 f. Doch ist insoweit die Grenze zum absoluten Fixgeschäft (Rn 32) undeutlich.
Rn 35
Es ist nämlich auch an Fälle zu denken, in denen es gar nicht um einen Interesseverlust des Gläubigers geht, sondern um sein Interesse an einer besonders schnellen Leistung. Wenn etwa ein Klempner zu einem Wasserrohrbruch gerufen wird, verliert auch seine verspätete Leistung ihren Nutzen nicht notwendig. Aber wenn die Leistung auch ohne Verschulden erst später möglich ist, muss der Überschwemmte von dem Fristsetzungserfordernis befreit sein, wenn er sich anderswo schneller Hilfe verschaffen kann. Allerdings liegen auch solche Fälle an der Grenze zum (hier relativen) Fixgeschäft.
Rn 36
Eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung kann bei sog Montagsautos gegeben sein (BGH NJW 13, 1523 [BGH 23.01.2013 - VIII ZR 140/12]). Nach der Rspr des BGH soll II Nr 3 auch dann einschlägig sein, wenn der Verkäufer bei Vertragsschluss eine Täuschungshandlung begangen hat. Hierdurch werde das Vertrauen des Käufers in die Ordnungsmäßigkeit der Nacherfüllung zerstört, was die Nacherfüllung regelmäßig unzumutbar werden lasse (BGH NJW 07, 835, 836; NJW 08, 1371, 1372; NJW 10, 2503, 2504; BGHZ 190, 272 Rz 14; ZIP 21, 2335 Rz 24). Eine Ausnahme hiervon soll aber dann zu machen sein, wenn der Käufer eine Frist gesetzt hat und der Mangel fristgemäß behoben wurde (BGH NJW 10, 1805 [BGH 12.03.2010 - V ZR 147/09]). Wenn es der BGH ausreichen lässt, dass dem Verkäufer Arglist vorzuwerfen ist, so verdeckt dies die nach II Nr 3 vorzunehmende Abwägung, die eine Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles erfordert und durchaus auch anders ausfallen kann (näher Gutzeit NJW 08, 1359 [BGH 09.01.2008 - VIII ZR 210/06]). In den ›Dieselfällen‹, in denen der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel in den Verkehr gebracht hat, dieser Mangel aber dem Verkäufer nicht bekannt war, und in denen zum Zwecke der Nachbesserung ein vom Hersteller entwickeltes Software-Update verwendet werden soll, hängt die Entbehrlichkeit der Fristsetzung von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die nicht schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen sind (BGH ZIP 21, 2335 Rz 27 ff). Gegen eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung Karlsr 26.1.22, 6 U 128/20 – juris Rz 160 ff; dafür hingegen Köln 18.8.21, 11 U 138/19 – juris Rz 17. Unzumutbarkeit liegt jedenfalls dann vor, wenn das Softwareupdate zu anderen Mängeln führt (BGH VersR 22, 703; in diese Richtung bereits BGHZ 231, 149. Die Voraussetzungen des II Nr 3 sind jedenfalls nicht bereits dann erfüllt, wenn in einem Verbrauchsgüterkaufvertrag ein formularmäßiger Gewährleistungsausschluss enthalten ist, auf den sich der Unternehmer gem § 476 I nicht berufen kann, BGH ZIP 11, 1571 (Aufgabe von BGHZ 170, 31). Steht hingegen (nach Fälligkeit) fest, dass der Schuldner die zu setzende angemessene Frist zur Leistung nicht einhalten wird, ist II Nr 3 anwendbar (BGH ZIP 12, 1463). Eine formularmäßige Verpflichtung zur Setzung einer Nachfrist auch in Fällen ihrer Entbehrlichkeit nach II ist unwirksam (BGH NJW 13, 3022 [BGH 06.06.2013 - VII ZR 355/12] Rz 20). Zur Vereinbarkeit der Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach II Nr 3 mit Art 7 FernabsRL Haag GPR 11, 125.
Rn 37
II Nr 3 wurde durch das VRRL-UG (dazu Vor §§ 312 ff Rn 4) mWv 13.6.14 geändert. Damit soll Art 18 VRRL umgesetzt werden. Die Neufassung beschränkt das sofortige Rücktrittsrecht des Gläubigers auf den Fall einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung des Schuldners iSd § 323 I Var 2. Wird die fällige Leistung überhaupt nicht erbracht (§ 323 I Var 1), ist folglich – vorbehaltlich der Ausnahmen in II Nr 1 und Nr 2 – stets eine Fristsetzung erforderlich. Im Hinblick auf den vollharmonisierenden Charakter der VRRL kommen weitere Ausnahmen daneben – jedenfalls für die in Art 18 II VRRL geregelten Verbraucherkaufverträge – grds nicht in Betracht (s aber BTDrs 17/12637, 59, wonach ›in besonders schwerwiegenden Fällen‹ § 242 zur Anwendung kommen könne).
Rn 38
Die Parallelvorschrift zu II im Schadensrecht, § 281 II, wurde durch das VRRL-UG indessen nicht verändert. Im Falle einer Nichtleistung könnte der Gläubiger damit zwar nicht ohne Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten, wohl aber Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 II Alt 2 verlangen. Dieser Wertungswiderspruch ist wie folgt zu korrigieren: Innerhalb des Anwendungsbereichs der VRRL muss § 281 II Alt 2 richtlinienkonform reduziert werden; außerhalb...