Prof. Dr. Michael Stürner
Gesetzestext
Das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, wird durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen.
A. Funktion.
Rn 1
Der Rücktritt schließt hinsichtlich der Primärleistung Erfüllungsansprüche aus. Es scheint daher logisch nötig, dass auch Schadensersatzansprüche statt der Erfüllung ausgeschlossen sind (hiergegen aber Gsell JZ 04, 643f). Dementsprechend hatten vor dem SchRModG Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung alternativ zur Wahl des Gläubigers gestanden (§§ 325 I 1, 326 I 2 aF). Das hat oft zu Schwierigkeiten geführt, weil die vorschnelle Wahl des Rücktritts den Weg zum Ersatz des positiven Interesses versperrt hat. Dem will § 325 abhelfen, indem dem Gläubiger die Kombination beider Rechtsbehelfe ermöglicht wird (BTDrs 14/6040, 188). Eine ähnl Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz findet sich in Art 45 II, 61 II CISG, in Art 8:102 PECL bzw. Art III.-3:102 DCFR und in Art 7.3.5 II UNIDROIT Principles. Umstr war die Frage, ob auch eine Kumulation von Minderung und Schadensersatz möglich ist (dafür Stuttg ZGS 08, 479; dagegen Lögering MDR 09, 664). Der BGH hat dies nun verneint, so dass der Käufer von einer wirksam erklärten Minderung nicht mehr zu einem Anspruch auf großen Schadensersatz wechseln kann (BGH NJW 18, 2863 Rz 46 ff: keine analoge Anwendung des § 325; krit Stöber NJW 18, 2834; Markworth JZ 18, 897 [BGH 09.05.2018 - VIII ZR 26/17]).
Rn 2
Fraglich ist aber, wie der Rücktritt den Inhalt des Schadensersatzanspruchs beeinflusst. Denn dass der Gläubiger sowohl die erbrachte Gegenleistung zurückverlangen wie auch den vollen, nach der Surrogationsmethode berechneten Schadensersatz statt der Leistung soll verlangen können, wäre sachlich verfehlt und wird auch von § 325 nicht vorgeschrieben (MüKo/Ernst Rz 4 und ausf Herresthal JuS 07, 798).
B. Die Berechnung des Schadens nach Rücktritt.
I. Der Schadensersatz statt der Leistung.
Rn 3
Der Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 III, 281–283, 311a II) ist richtigerweise nach der Differenzmethode zu berechnen (vgl § 281 Rn 36): Zu ersetzen ist nur die Differenz zwischen dem vollen Erfüllungsinteresse und dem Wert der wegen des Rücktritts nicht mehr zu erbringenden oder zurückzuerstattenden Gegenleistung (etwa Gsell JZ 04, 643, 645; MüKo/Ernst Rz 7; Grüneberg/Grüneberg Rz 2). Der Gläubiger erhält also den Ersatz des Nettogewinns, den er aus dem Vertrag hätte ziehen können. Der auf das Erfüllungsinteresse gerichtete Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung umfasst auch den Nutzungsausfallschaden; ein Vorrang des Rücktrittsfolgenrechts in Fällen des Nutzungsersatzes besteht nicht (BGHZ 174, 290 Rz 8 mwN; BGH NJW 10, 2426).
Rn 4
Fraglich ist allerdings, ob der Gläubiger diesen Differenzschaden mit einem Rückaustausch der gegenseitigen Leistungen auch ohne den Rücktritt (also allein über die §§ 280 III, 281) erhalten kann. Das wird von vielen bejaht, etwa Arnold ZGS 03, 427, 429 f; Grüneberg/Grüneberg § 281 Rz 20; NK-BGB/Dauner-Lieb § 281 Rz 61 ff und andeutungsweise auch BGHZ 218, 320 Rz 37 (aber obiter). Dagegen hat aber MüKo/Ernst Rz 9 f gewichtige und wohl überzeugende Gründe vorgebracht, in gleichem Sinn etwa Gsell JZ 04, 643, 647.
Rn 5
Fraglich ist weiter, ob bei einer Häufung von Rücktritt und Schadensersatz die Rücktrittsfolgen nach den Regeln des Schadensrechts (§ 249 I) korrigiert werden müssen (vgl Gsell JZ 04, 643, 647 f; MüKo/Ernst Rz 12): Kann der Gläubiger, der für seine Leistung nach § 346 II nur Wertersatz erhält, einen darüber hinausgehenden Schaden ersetzt verlangen? Und kann umgekehrt der Gläubiger nach den §§ 346 I, 347 I den Ersatz von Nutzungen verlangen, die er selbst nicht gezogen hätte, so dass er deren Ersatz nach § 249 I nicht fordern könnte? Die Lösung ist str (vgl Gsell und Ernst aaO); für beide Fragen erscheint die Bejahung einer schadensrechtlichen Korrektur vorzugswürdig. Für eine kombinierte Berücksichtigung Riewert Die Rückabwicklung erbrachter Leistungen bei der Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz nach § 325 BGB, 14.
II. Andere Schadensposten.
Rn 6
Als weitere Schadensposten kommen in Betracht Verzögerungs- (§ 280 II, § 286) und Begleitschäden (§ 280 I). Dann sind die Verzögerungsschäden zu ersetzen, soweit sie bis zum Rücktritt entstanden waren; später entstandene nur bei Verzug mit den Pflichten aus dem Rücktritt und der Schadensersatzforderung; Einzelheiten bei Herresthal JZ 07, 798 [BGH 31.01.2007 - StB 18/06]. Die Begleitschäden laufen neben den übrigen Schadensposten her; ihre Ersatzfähigkeit bleibt daher unberührt (Grüneberg/Grüneberg Rz 4).