Prof. Dr. Michael Stürner
Gesetzestext
(1) Die Ausübung von datenschutzrechtlichen Betroffenenrechten und die Abgabe datenschutzrechtlicher Erklärungen des Verbrauchers nach Vertragsschluss lassen die Wirksamkeit des Vertrags unberührt.
(2) Widerruft der Verbraucher eine von ihm erteilte datenschutzrechtliche Einwilligung oder widerspricht er einer weiteren Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten, so kann der Unternehmer einen Vertrag, der ihn zu einer Reihe einzelner Bereitstellungen digitaler Produkte oder zur dauerhaften Bereitstellung eines digitalen Produkts verpflichtet, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn ihm unter Berücksichtigung des weiterhin zulässigen Umfangs der Datenverarbeitung und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum vereinbarten Vertragsende oder bis zum Ablauf einer gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
(3) Ersatzansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher wegen einer durch die Ausübung von Datenschutzrechten oder die Abgabe datenschutzrechtlicher Erklärungen bewirkten Einschränkung der zulässigen Datenverarbeitung sind ausgeschlossen.
A. Funktion.
Rn 1
Die Vorschrift regelt die vertragsrechtlichen Folgen der Ausübung von Rechten des Verbrauchers im Bereich des Datenschutzes. Die DIRL hat die Regelung dieses Bereichs in ihrem ErwGr 40 ausdr den Mitgliedstaaten überlassen, womit § 327q über den Regelungsgehalt der DIRL hinausgeht (Rosenkranz ZUM 21, 195, 198). Art 3 VIII DIRL stellt dabei klar, dass die DSGVO auf alle personenbezogenen Daten Anwendung findet, die im Zusammenhang mit Verbraucherverträgen über digitale Produkte verarbeitet werden. Der Bereich des Datenschutzrechts bleibt daher auch in diesem Zusammenhang unionsrechtlich überformt.
Rn 2
Leitgedanke des § 327q ist daher, dem Verbraucher die ungehinderte Ausübung seiner datenschutzrechtlichen Befugnisse aus der DSGVO auch im vertraglichen Kontext zu ermöglichen (BTDrs 19/27653, 75, s.a. ErwGr 42 DSGVO). Durch § 327s I wird der Verbraucher insoweit auch vor möglichen Umgehungsversuchen des Unternehmers geschützt.
B. Vertragsrechtlicher Schutz des Verbrauchers im Bereich des Datenschutzes, I.
Rn 3
Die Ausübung datenschutzrechtlicher Betroffenenrechte sowie die Abgabe datenschutzrechtlicher Erklärungen nach Vertragsschluss lassen nach I die Wirksamkeit des Verbrauchervertrags über ein digitales Produkt iSd § 327 I, III unberührt. In analoger Anwendung des § 327q soll sich dies auch auf sonstige Verträge iSd § 312 Ia beziehen, welche kein digitales Produkt zum Gegenstand haben (Buchmann/Panfili K&R 22, 232, 239f).
Rn 4
Datenschutzrechtliche Betroffenenrechte ergeben sich va aus Art 16–18 DSGVO. Eine datenschutzrechtliche Erklärung ist insb der Widerruf einer Einwilligung zur Datenverarbeitung gem Art 7 III DSGVO. Weitere mögliche Erklärungen ergeben sich aus Art 21 I, II DSGVO.
C. Besonderes Kündigungsrecht des Unternehmers, II.
Rn 5
Übt der Verbraucher seine aus DSGVO folgenden Rechte aus, führt dies zu einer Aufkündigung des vertraglichen Synallagmas. II sieht daher in diesen Fällen unter gewissen Voraussetzungen ein besonderes Kündigungsrecht des Unternehmers vor.
I. Vertrag gem § 327b V.
Rn 6
Zunächst muss ein Vertrag über eine Reihe einzelner Bereitstellungen gem § 327b V 1 oder über eine fortlaufende Bereitstellung gem § 327b V 2 vorliegen. Bei Verträgen über eine einmalige Bereitstellung ist dagegen das Risiko datenschutzrechtlicher Erklärungen des Verbrauchers von vornherein überschaubar und regelmäßig bereits einkalkuliert (BTDrs 19/27653, 76).
II. Datenschutzrechtlicher Widerruf oder Widerspruch des Verbrauchers.
Rn 7
Ferner muss der Verbraucher einen Widerruf einer bereits erteilten Einwilligung gem Art 7 III DSGVO oder einen Widerspruch gegen die weitere Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten gem Art 21 I, II DSGVO erklärt haben.
III. Interessenabwägung.
Rn 8
Das Sonderkündigungsrecht aus II besteht indessen nur dann, wenn es dem Unternehmer insb unter Berücksichtigung des weiterhin zulässigen Umfangs der Datenverarbeitung nicht zumutbar ist, das Vertragsverhältnis bis zu dessen rechtlich vorgesehenem Ende fortzusetzen (BTDrs 19/27653, 76). Das soll der Fall sein, wenn die schuldrechtlichen Pflichten für den Unternehmer nicht mehr erfüllbar sind; andererseits soll ein Festhalten zumutbar sein, wenn sich der Unternehmer auf eine andere Erlaubnisnorm für die Verarbeitung stützen kann (Buchmüller/Roos ZD 22, 8, 11). Hier zeigen sich Parallelen zu §§ 313, 314. Es ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, in die auch die Aufwendungen des Unternehmers einbezogen werden müssen, die für die Aufrechterhaltung der konkreten Bereitstellung erforderlich sind. Zur Frage der zulässigen Datenverarbeitung mithilfe anderer Rechtsgrundlagen der DSGVO nach erfolgtem Widerruf der Einwilligung iSd Art 7 III DSGVO Spindler MMR 21, 528, 530; nach aA verstößt das Kündigungsrecht gegen das Kopplungsverbot des Art 7 IV DSGVO (Buchmann/Panfili K&R 22, 232, 239).
IV. Rechtsfolge.
Rn 9
In der Wortwahl ›kündigen‹ in II könnte in Ermangelung einer Spezialregelung für die Kündigung in §§ 327 ff eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften des Besonderen Schuldrechts zu sehen sein. Doch kommt ebenso ein Rückgriff auf § 327p I in Betracht; hie...