Rn 67
Grds setzt die verhaltensbedingte Kündigung eine Abmahnung und erneute vergleichbare Pflichtverletzung voraus (zur Kündigung aus wichtigem Grund § 314 II Rn 7). Die Abmahnung verbraucht – auch in der Wartezeit – das Kündigungsrecht, sofern ihr nichts Abweichendes zu entnehmen ist (BAG NZA 16, 540 [BAG 19.11.2015 - 2 AZR 217/15]), wegen der abgemahnten Pflichtverletzung. Der ArbG kann bei Kündigung wegen weiterer Verstöße bereits abgemahnte unterstützend heranziehen (BAG NZA 10, 823 [BAG 26.11.2009 - 2 AZR 751/08]). Die Abmahnung hat (auch bei formalen Mängeln: BAG NZA 09, 894 [BAG 19.02.2009 - 2 AZR 603/07]) insb Warnfunktion. Eine erneute vergleichbare Pflichtverletzung begründet idR die negative Prognose (BAG NZA 11, 1342 [BAG 09.06.2011 - 2 AZR 323/10]).
Rn 68
Die Abmahnung ist idR entbehrlich, wenn bereits im Voraus erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um seine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG NZA 21, 1178 [BAG 27.04.2021 - 9 AZR 662/19]). § 314 II 2 verweist für die außerordentliche Kündigung auf § 323 II. Bei Pflichtverletzungen im
Vertrauensbereich ist die Abmahnung nicht entbehrlich, wenn der ArbN annehmen durfte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig bzw der ArbG werde es zumindest nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten ansehen (BAG NZA 10, 1227 [BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09]). Demnach ist bei Diebstahl regelmäßig keine Abmahnung erforderlich, auch nicht bei geringwertigen Sachen (BAG NZA 12, 1025 [BAG 21.06.2012 - 2 AZR 153/11]) oder abgeschriebenen Waren, die nach Meinung des ArbN zur Entsorgung bestimmt sind (BAG NZA 04, 486), auch nicht bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen (BAG DB 09, 964; BAG NZA 06, 431; aber NJW 15, 1195 uU Abmahnung nötig nach sexueller Belästigung einer Kollegin).
Rn 69
Zur Vorbereitung einer Kündigung ist die Abmahnung nur geeignet, wenn sie zumindest enthält: (1.) die konkrete (BAG NZA 09, 842 [BAG 27.11.2008 - 2 AZR 675/07]) Mitteilung der Tatsachen, die das pflichtwidrige Verhalten begründen, (2.) die Aufforderung, dieses Verhalten einzustellen bzw dieses oder ein vergleichbares Verhalten nicht zu wiederholen, (3.) die Erklärung, dass der ArbN im Wiederholungsfalle mit einer Kündigung rechnen muss (Formulierungsvorschläge BLDH/Lingemann Kap 18, Rz 5 ff M 18.1f). Wird mehrmals wegen gleichartiger Pflichtverletzungen abgemahnt (zB fünfmal wegen Zuspätkommens), muss die Kündigungsandrohung in der letzten Abmahnung vor der Kündigung besonders eindringlich sein (BAG DB 02, 689). Eine frühere Kündigung gilt als Abmahnung, wenn der dortige Pflichtenverstoß abmahnungswürdig, für die Kündigung jedoch nicht ausreichend war.
Rn 70
Abmahnberechtigt sind Mitarbeiter, die dem ArbN verbindliche Weisungen zu Ort, Zeit, Art und Weise der geschuldeten Arbeitsleistung erteilen können (BAG NZA 93, 220 [BAG 15.07.1992 - 7 AZR 466/91]; BB 80, 1269 [BAG 18.01.1980 - 7 AZR 75/78]), auch wenn sie nicht kündigungsberechtigt sind (BAG AP Nr 3 zu § 1 KSchG 1969 – ›Verhaltensbedingte Kündigung‹; ZTR 89, 314). Die Rechtmäßigkeit der Abmahnung ist auch im Kündigungsschutzprozess (inzident) zu prüfen, soweit für die Wirksamkeit der Kündigung erheblich. Das Recht zur Abmahnung ist nicht fristgebunden, kann aber verwirken.