Gesetzestext
(1) 1Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. 2Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen. 3§ 811 ist entsprechend anzuwenden.
(2) 1Der Patient kann auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. 2Er hat dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten.
(3) 1Im Fall des Todes des Patienten stehen die Rechte aus den Absätzen 1 und 2 zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen seinen Erben zu. 2Gleiches gilt für die nächsten Angehörigen des Patienten, soweit sie immaterielle Interessen geltend machen. 3Die Rechte sind ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht.
A. Normzweck.
Rn 1
Das Einsichtsrecht soll dem Schutz des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung und personale Würde iSv Art 2 I iVm Art 1 I GG Rechnung tragen, welche es gebieten, jedem Patienten gegenüber dem Behandelnden grds einen Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen einzuräumen (BGHZ 85, 327; BVerfG NJW 99, 1777; 06, 1116, 1117). Bei öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnissen soll § 630g entsprechend anwendbar sein, um dem Patienten die Möglichkeit zu verschaffen, Verstöße des Behandelnden gegen die Sorgfaltspflichten festzustellen und Schadensersatzansprüche durchzusetzen (BSG MedR 16, 210 [BSG 08.09.2015 - B 1 KR 36/14 R]; vgl § 76 IV SGB V).
B. Einsichtsrecht.
I. Inhalt und Voraussetzungen.
Rn 2
Dem Patienten ist auf sein Verlangen hin jederzeit und unverzüglich Einsicht in die ihn betreffende Patientenakte zu gewähren. Den verfassungsrechtlich geschützten Rechten des Patienten entsprechend, kann dieses Einsichtsrecht nur in Ausnahmefällen eingeschränkt werden. Allein die Auffassung des Behandelnden, dass bereits die Kenntnis einer ungünstigen Prognose das Befinden des Patienten verschlechtern und zur Resignation hinsichtlich seines weiteren Lebensweges führen mag, kann die Verweigerung der Einsichtnahme grds nicht rechtfertigen (BGHZ 85, 327, 333). Die Ablehnung der Einsichtnahme ist vielmehr nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich, um der Gefahr zu begegnen, dass eine, wenn auch mitunter gut gemeinte, ärztliche Zurückhaltung den grundsätzlichen Anspruch des mündigen Patienten untergräbt (BGHZ 85, 327, 333). Die Ablehnung kann allerdings in der Person des Patienten selbst oder den Rechten Dritter begründet sein. Erhebliche therapeutische Gründe, etwa eine drohende Selbstgefährdung des Patienten, können dazu führen, dass der Behandelnde dem Patienten gewisse Erkenntnisse aus der Patientenakte vorenthalten darf und muss (BGHZ 85, 327, 333; Erman/Rehborn/Gescher Rz 9). Das Einsichtsrecht kann insoweit seine Grenzen va in den Bereichen der Psychiatrie und Psychotherapie finden, in denen der Einfluss auf die geistig-seelische Struktur Schwerpunkt der Behandlung ist (BGHZ 85, 327, 336; 85, 339, 342; Montgomery et al. MedR 13, 149, 152; Schneider GesR 14, 385). In den Rechten Dritter liegen die Grenzen des Einsichtsrechts insbes, sofern deren ebenfalls schützenswerte Persönlichkeitsrechte von der Einsichtnahme betroffen sind (Laufs/Katzenmeier/Lipp/Katzenmeier IX Rz 62f). Dies mag der Fall sein, so bei einem Minderjährigen sensible Informationen über seine gesetzlichen Vertreter in die Patientenakte eingeflossen sind (BTDrs 17/10488 S 27). Der Behandelnde selbst kann als Vertragspartei nicht als ›Dritter‹ iSd I 1 angesehen werden. Dies schließt es nicht von vornherein aus, die Verweigerung der Einsichtnahme zum Schutz des Behandelnden aus anderen Vorschriften abzuleiten (Bayer MedR 17, 211).
II. Umfang.
Rn 3
Der Patient kann Einsicht in die vollständige Patientenakte verlangen. Grds ist das Recht auf Einsicht und Herausgabe umfassend, aber nicht unbegrenzt. So steht dem Patienten kein pauschaler Auskunftsanspruch auf Namen und Adressen sämtlicher Behandelnder in einem Krankenhaus zu (Hamm RDG 17, 317). Eine Differenzierung zwischen objektiven Feststellungen und Befunden einerseits, subjektiven Wahrnehmungen und Eindrücken andererseits, ist nicht erfolgt. Tatsächlich war die Annahme, Niederschriften über subjektive Wahrnehmungen als nicht vom Einsichtsrecht umfasst anzusehen, nicht nur in der Rspr begründet, sondern ebenso Gegenstand berufsrechtlich anerkannter Grundsätze (§ 10 II 1 Hs 2 MBO-Ä; dazu Montgomery et al. MedR 13, 149, 152). Diese Annahme findet ihren Grund darin, dass eine Vertragsbeziehung wie der Behandlungsvertrag auf der einen Seite eine persönliche Komponente besitzt, so dass typischerweise Aufzeichnungen über subjektive Eindrücke von Gesprächen zwischen den Vertragspartnern, etwa über den gewünschten Ablauf der Behandlung oder die nachfolgende Therapie existieren. Anerkannt wird sodann auf der anderen Seite, dass die Niederschrift solcher Eindrücke gerade in dem Bewusstsein erfolgt, dass die andere Vertragsseite zu diesen keinen Zugang haben wird (BGHZ 85, 327, 335 ff). Nac...