Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher
Rn 55
Besteht kein Vertragsverhältnis, kann sich eine Haftung für Auskunft, Rat und Empfehlung aus einem vertragsähnlichen Verhältnis iSd § 311 II ergeben (längere Geschäftsverbindung: BGH WM 69, 247). Eine klare und scharfe Abgrenzung zwischen stillschweigendem Vertrag und vorvertraglichem Verhältnis ist in der Rspr bisher nicht zu erkennen (Haftung eines Anlagevermittlers sowohl wegen Verletzung von Pflichten aus einem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag als auch aus dem Gesichtspunkt der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten: BGHZ 74, 103).
Rn 56
Eine Haftung trifft nicht nur den möglichen oder vorgesehenen Vertragspartner, sondern auch Dritte, die bei den Verhandlungen mitgewirkt haben. Dabei geht es um Personen, die kein Interesse an einer eigenen Vertragsbeziehung haben, die aber aufgrund der ausgestrahlten Objektivität und Neutralität (persönliches Vertrauen) maßgebend zu einem Vertragsschluss beitragen (Sachwalter). Rechtsfolge der Verletzung von Schutz- und Rücksichtnahmepflichten (§ 241 II) ist die Eigenhaftung des Dritten (§ 311 III 2). Betroffen sind nur solche Dritte, die über das gewöhnliche Verhandlungsvertrauen hinaus in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nehmen und dadurch die Verhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflussen. Die Rspr hat eine Haftung von Verhandlungsgehilfen und sonstigen ›Sachwaltern‹ (Gebrauchtwagenhändler, Anlagevermittler) anerkannt (grundlegend: BGHZ 70, 337).
Rn 57
Über das benannte Regelbeispiel der Sachwalter hinaus bietet § 311 III auch Raum für die Haftung von Sachverständigen, die in besonderem Maße Vertrauen bei der Erbringung ihrer Leistungen in Anspruch nehmen (zB Rechtsanwälte, Steuerberater, öffentlich bestellte Gutachter). Grundlage der Haftung sind die Schutz- und Rücksichtnahmepflichten (§ 241 II) ggü Dritten, denen die Leistungen der Sachverständigen als Entscheidungsgrundlage bei Vertragsverhandlungen oder für Vertragsschlüsse dienen (BGHZ 127, 378; 145, 187). Erforderlich für das verkörperte Vertrauen ist allerdings, dass die Leistung auch für den konkreten Zweck bestimmt ist.
Rn 58
In § 311 III lässt sich ferner die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung ansiedeln. Prospekte werden nicht nur eingesetzt, um Wertpapiere am Kapitalmarkt zu platzieren und zu verkaufen, sondern auch um andere Anlageobjekte (BGHZ 111, 314; 115, 214: Bauherrenmodelle; BGHZ 145, 121: Bauträgermodelle) zu vertreiben. Häufig handelt es sich bei dem Prospekt um die einzige Informationsquelle für die Anlageentscheidung. Während für das Kapitalmarktrecht eine Prospekthaftung normiert ist (§§ 21, 22, 24 WpPG, §§ 20, 21, 22 VermAnlG; § 306 KAGB), fehlt eine Regelung in anderen Bereichen. Die das Management bildenden Initiatoren eines Projekts haften den beitretenden Interessenten für Vollständigkeit und Richtigkeit der mit ihrem Wissen und Willen in Verkehr gebrachten Werbeprospekte (BGHZ 111, 314; ›typisiertes Vertrauen‹ BGH GWR 09, 299). Darüber hinaus können weitere Personen haften, die mit Rücksicht auf ihre besondere berufliche und wirtschaftliche Stellung oder auf ihre Eigenschaft als berufsmäßige Sachkenner eine Garantenstellung einnehmen. Dazu müssen sie durch ihr nach außen in Erscheinung tretendes Mitwirken am Prospekt einen Vertrauenstatbestand schaffen (BGHZ 111, 314; 126, 166; 145, 187). Die spezialgesetzliche Prospekthaftung schließt in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung eines Prospektverantwortlichen unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung grds aus. Raum für die erweitere (vorvertragliche) Haftung besteht nur, wenn etwa der Gründungsgesellschafter einen zusätzlichen Vertrauenstatbestand setzt (BGH NJW 23, 3226 [BGH 11.07.2023 - XI ZB 20/21]).